• Frühling

    Der Steinzeitphallus

    Der Stein sieht exakt aus wie ein beschnittener Penis. Mit Hodensack und allem drum und dran. Als hätte ihn ein Homo erectus erschaffen. Der Vierjährige hält ihn mir strahlend entgegen: „Ist der gut?“, fragt er. Die Sechsjährige steht betrübt mit einem Schneckenhaus daneben. „Sein Penis ist viel cooler“, mosert sie. Diesen Satz sagen Mädchen mit Brüdern ja öfter. Der Vierjährige streckt ihr die Zunge raus: „Das ist mein Penis, ich hab ihn gefunden.“ Sie kontert mit: „Du Römer!“, ihr neues Lieblingsschimpfwort seit der Kreuzigungsgeschichte. Und wieder finde ich mich in einer dieser Szenen, bei denen ich mich frage, ob alle Kinder diesen Hang zum Surrealismus haben.Die beiden waren losgezogen, um…

  • unser Garten

    Im Gartendschungel

    Am frühen Morgen hängt träger Dunst über unserer taufeuchten Wiese, Wassertropfen glitzern auf den Blättern des Frauenmantels, die Hühner schütteln ihr nasses Gefieder. Die regenschweren Stauden lassen ihre Köpfe auf den Kiesweg hängen, es riecht nach dampfender Erde, öligen Salbeiblüten und Rindenmulch, holzig, grün, durchdringend. Das feucht-warme Wetter hat unseren Garten in wenigen Tagen in einen Urwald verwandelt. Ein fünfjähriger Elefant stapft mit seinen Wintergummistiefeln vor mir durch das Dickicht und trompetet lautstark vor sich hin. Ein paar Amseln nehmen schimpfend Reißaus. Ich schlage uns mit meiner Machete einen Weg frei. Das fallende Grün sammeln wir für die Kaninchen. Seitdem sie bei uns wohnen, betrachte ich unseren Garten mit völlig…

  • Backstage

    Nachts im Theater

    Und dann wurde es plötzlich eine dieser glitzernden Nächte, dieser seltenen tiefblauen Stunden, die man niemals so planen kann, weil sich ihr Zauber nur im flüchtigen Moments entfaltet. Die Tontechniker hatten die Bühne abgeräumt, die Zuschauer lagen in ihren Betten und die Musiker standen mit Jacken und Instrumentenkoffern im leeren Saal. Und dann setzte sich der Chansonnier Sebastian Krämer doch noch für ein letztes Lied ans Klavier. Und der klassische Pianist Christian Fritz gesellte sich zum ihm und beide begannen, vierhändig zu improvisieren. Natürlich mit 1,5 Meter Sicherheitsabstand zwischen sich auf dem Klavierhocker. Sie spielten mit einem entrückten Lächeln, einer Selbstvergessenheit und Verspieltheit, die so in der konzentrierten Professionalität des…

  • mit Kindern auf Tour

    Hotelentzug

    „Müsst ihr wirklich wegfahren“, hatte mich die Siebenjährige vor unserer Abreise unglücklich gefragt.„Wir müssen ja Geld verdienen“, sagte ich und lud meinen Ukulelen-Koffer ins Auto.„Ihr könnt doch einfach zu so einem Automaten gehen und euch da Geld holen“, schlug sie vor.„Aber dafür muss ich vorher erstmal Geld in den Automaten rein tun“, sagte ich und gab ihr zum Abschied einen Kuss. Die Kinder waren streng genommen nicht betrübt, dass wir wegfahren. Sondern, dass sie nicht mitdurften. Die Siebenjährige muss schließlich zur Schule. Seit ihrer Einschulung ist unser Leben noch komplizierter geworden. Unsere Agentin hatte uns dieses Jahr tollerweise drei große Touren mit den Kindern in den Oster-, Sommer- und Herbstferien…

  • Paar,  unser Dorf

    Von Dorfmännchen und Drogerien

    Die Finanzkrise ist da. Also unsere ganz persönliche. Das weiß ich auch ohne Kontoauszug. Du weißt, dass die Finanzkrise da ist, wenn dein Ehemann Schnappatmung kriegt, weil du beim Rossmann-Einkauf den 10% Gutschein vergessen hast. Jetzt haben wir 6 Euro zum Fenster rausgeschmissen. Und das in Zeiten wie diesen. Nein, falsch! Ich, ICH habe 6 Euro zum Fenster raus geschmissen. Friedolin würde so was nie passieren. Er würde die Kinder im Rossmann vergessen, aber nicht den 10% Gutschein. In der Großstadt haben wir solche Gutscheine nie bekommen. Hier auf dem Land stecken die manchmal im Briefkasten. Weil gerade der männliche Dorfbewohner den Sinn von Drogerien nicht versteht und mit Gutscheinen…

  • Kinder

    Das erste Mal

    Der Fünfjährige steht am Seeufer und traut sich nicht ins Wasser. Diesen Sommer ist er erstaunlich wasserscheu. Er geht höchstens bis zum Po rein, dann bleibt er stehen und sieht zu, wie seine Schwester davon schwimmt. „Möchtest du es vielleicht einmal ohne Schwimmweste probieren?“, frage ich ihn schließlich. Er überlegt und nickt dann zögerlich. 10 Minuten später taucht er wie ein Seehund durchs Wasser und schwimmt stolz auf mich zu. Am Ende hatte ihn die Schwimmhilfe vom Schwimmen abgehalten. Ich spüre, wie mein Herz weit wird. Wie jedes Mal, wenn die Kinder einen Meilenstein ihrer Entwicklung meistern.Das erste Mal. Das erste Mal lachen, das erste Mal krabbeln, sitzen, essen, stehen,…

  • Backstage

    Ungeschminkt

    „Ich hab dich im Fernsehen erst gar nicht erkannt“, sagt meine Nachbarin. Sie hat mich in der Anstalt gesehen. „Ich mich auch nicht“, sage ich und verschränke meine Arme vor der Brust. Ich habe wieder mal keinen BH an und fühle mich nicht nach Konversation. Ich bin müde, sehe auch so aus und wollte eigentlich nur kurz die Mülltonnen reinholen. Eigentlich wäre aus mir ein guter Promi geworden. Ich sehe geschminkt komplett anders aus als privat. Meine Wimpern und Augenbrauen sind nahezu farblos. Die haben den Verdunklungsprozess meiner restlichen Haare leider nicht mitgemacht. Wobei privat ja nicht bei allen Frauen ungeschminkt bedeutet. Mich faszinieren Frauen, die samstags auf dem Weg…

  • Sommer,  Urlaub

    Unser Sommer

    Und dann gab es diesen Moment, an dem Corona ganz weit weg war und sich alles leicht und unbeschwert anfühlte. Wir schlenderten mit den Kindern in der Abenddämmerung über die sonnenverbrannte Weide in Richtung Fluss. Nach der sengenden Hitze begann der Tag langsam auszuatmen. Die Sonne brannte nicht mehr und verabschiedete sich mit weich schmeichelndem Abendlicht. In der Ferne graste die Stute mit ihrem Fohlen, das sich vertrauensvoll auf den Rücken legte, sobald die Siebenjährige es streichelte. Neben den Kindern schlich die scheue Bauernhof-Katze einher. Sie hatten ihr unsere leeren Quark- und Joghurtbecher zum Ausschlecken vor die Tür gestellt, seitdem folgte sie ihnen auf Schritt und Tritt. Wir liefen über…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Haare schneiden in Bullerbü

    Heute gehen wir zum Frisör. Gemeinsam mit Astrid Lindgren. Das funktioniert so, dass die Kinder sich ihre Zauberumhänge anziehen und erwartungsfroh in unserem Frisiersalon am Küchentisch Platz nehmen. Sie freuen sich, weil sie beim Haareschneiden auf dem Laptop Bullerbü gucken können. Sonst dürfen sie nur fernsehen, wenn schlechtes Wetter ist. Und da es seit dem Klimawandel in unserem Dorf kaum noch regnet, kommt das selten vor. Eigentlich soll das Fernsehen beim Stillsitzen helfen, aber für den Vierjährigen ist selbst Bullerbü so aufregend, dass er vor Freude und Spannung zittert. Wenn er auf Tour im Hotel mal normales Kinderfernsehen gucken darf, muss er zwischendurch in eine Tüte atmen. Und ich auch.…

  • Corona-Chronik,  unser Dorf

    Das alternative Osterfeuer

    Heute hat es im Dorf gebrannt. Ganz zur Freude unserer Kinder. Der alte Herr H. hatte mit dem Unkrautflämmer seine Lebensbaumhecke in Brand gesetzt. Da es in diesem Jahr wegen Corona kein Osterfeuer gibt, waren wir Herrn H. sehr dankbar, dass er die Dinge selbst in die Hand genommen hat. Friedolin überlegt auch, wie wir unseren ganzen Grünschnitt loswerden sollen. Kein Osterfeuer, das Kompostwerk hat zu und die Nachbarn mit dem Schredder sind in Quarantäne. Vielleicht sollten wir uns den Unkrautflämmer vom alten Herrn H. ausleihen.Als die ganze Straße unter Qualm stand, kamen die Nachbarn mit Wassereimern angerannt und löschten den Brand. Es dauerte ein bisschen länger, weil sie bemüht…