Frühling

Palmbuschen für den Frühling

Wir haben es geschafft! Von heute an sind die Tage wieder länger als die Nächte. Die Dunkelheit des Winters ist endgültig überwunden. Zwar wehte gestern zur Tag-und-Nacht-Gleiche ein kalter Wind, der so gar keine Frühlingsgefühle aufkommen lassen wollte. Friedolin und die Kinder verkrochen sich wie die Murmeltiere in ihre Höhlen und weigerten sich, das Haus zu verlassen. Aber der Brautgesang der Vögel klang nach neuem Leben und Aufbruch, also fuhr ich allein mit dem Fahrrad hinaus in die Felder, um Zweige für unseren Palmbuschen zu schneiden. Ich lief am verwilderten Ufer der Teiche entlang, durch undurchdringliche Knicks und lichtes Gehölz. In der ungewohnten Stille konnte ich erspüren, welche Bäume uns dieses Jahr in den Frühling begleiten wollten. Neunerlei Holz braucht es für den traditionellen Palmbuschen, Zweige der Bäume und Sträucher, die seit jeher für Schutz- und Abwehrzauber verwendet werden: Weide und Hasel, Eibe und Buchs, Holunder und Wacholder, Stechpalme, Schwarzdorn und Esche. Bei den Christen gedenkt man damit am Palmsonntag vor Ostern an den Einzug Jesus in Jerusalem, wo die Menschen ihn mit Palmwedeln begrüßt haben sollen. In vorchristlicher Zeit war der Palm ein Symbol des erwachenden Frühlings. Die geschmückten Zweige wurden bei Flurumzügen zur Begrüßung der neuen Vegetation dreimal um die Felder getragen und später am Feld, im Stall oder über Tür und Fenstern befestigt. Die Verlobung des Sonnengottes mit der jugendlichen Fruchtbarkeitsgöttin wurde gefeiert, aus deren Verbindung neun Monate später zur Wintersonnenwende im ewigen Kreislauf der neue Gott des Lichtes geboren wird.
Als ich am Mittag das Radkreuz fertig geflochten und auf einem kräftigen Haselstecken inmitten meines kleinen Ackers aufgestellt hatte, kamen die Kinder doch noch aus ihren Höhlen und umrundeten den Palmbuschen mit großen Augen. „Schön“, sagte der Fünfjährige und berührte das Holz andächtig mit seinen kleinen Fingern. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viel Kraft von diesen uralten Symbolen ausgeht, wenn man sie nach altem Brauch mit den eigenen Händen erschafft. Danach pflückten wir Veilchenblüten und Löwenzahn und streuten sie auf unser Frischkäse-Brot, um den Frühling ganz in uns aufzunehmen. Ab jetzt geht es bergauf, da bin ich mir ganz sicher.

Eine Antwort schreiben