Kinder

„Na, wie war’s?“

„Ist das eine Krähe oder eine Elster“, fragt Friedolin und schaut mit zusammen gekniffenen Augen in Richtung Ahorn.
„Das ist eine Krähe, Papa“, sagt der Fünfjährige.
„Du brauchst echt mal eine Brille“, sage ich, aber Friedolin schüttelt entrüstet den Kopf.
„Da war ein Ast vor, deshalb konnte ich das nicht richtig erkennen.“
Friedolin hat es nicht so mit Vögeln. Wenn unser kleiner Teich zur Vogel-Badeanstalt wird, ruft er gern: „Guckt mal Kinder, der Spatz!“ Dann rollen die Kinder mit den Augen und korrigieren: „Das ist ein Buchfink, Papa.“ Für ihn ist jeder Vogel, der klein und annähernd braun ist, ein Spatz (auch Zaunkönige, Heckenbraunellen und Finken). Amseln immerhin erkennt er. Zumindest die Männchen. Er nimmt den leicht überheblichen Unterton der Kinder also gelassen hin, denn er gönnt es seinem Nachwuchs, dass sie auf diesem Gebiet mehr wissen als er. Die Kinder sind ja stolz wie Bolle, wenn sie zur Abwechslung mal uns die Welt erklären dürfen. Die Siebenjährige ist mittlerweile Expertin für Frühblüher, wohingegen Friedolin gerade mal Osterglocken und Krokanten bestimmen kann. Wir gehen also nur Bärlauch pflücken, wo garantiert keine Maiglöckchen wachsen.
Meine Lieblings-Frage an die Kinder lautet: „Was habt ihr heute gelernt, was ich nicht weiß?“
Der Fünfjährige überraschte mich neulich mit der Ausführung, dass die Atemlöcher an der Kopfseite der Nacktschnecken auch zur Eiablage dienen. Hatte ich nicht gewusst, irgendwie hatte ich angekommen, dass bei allen Tieren die Eier hinten raus kommen.
„Habt ihr das im Kindergarten gelernt?“
„Ja, ich hab mir im Kindergarten ein Buch angeguckt, wo so ein Bild von einer eierlegenden Nacktschnecke drin war, daher weiß ich das.“
Mir berichten Eltern häufig, dass ihre Kinder gar nichts aus dem Schul- oder Kindergartenalltag erzählen. Ich stell mir dann vor, dass die Gespräche vielleicht ablaufen, wie die zwischen Friedolin und dem Fünfjährigen, wenn der aus dem Kindergarten kommt. Friedolin fragt immer beim Öffnen der Haustür: „Na, wie war’s?“ Und der Fünfjährige antwortet immer mit zu Boden gerichtetem Blick: „Gut.“ Damit ist das Gespräch beendet.
Ich lasse die Kinder gern erstmal zur Tür rein kommen, auspacken, und vor sich hinprötscheln, bis ich ihre Stimmung erfasst habe. Wenn sie dann nicht schon von selbst erzählen, stelle ich eine konkrete und leicht zu beantwortende Frage: „Neben wem hast du heute beim Frühstück gesessen? Und was hatte der zum Essen dabei?“ Das bringt die Kinder immer zum Erzählen, weil sie es völlig verrückt finden, was die anderen dabei haben.
„Mama und dann hat der mich ehrlich gefragt, ob ich krank bin, weil ich Brot dabei hatte. Weil er immer nur Brot mit in die Schule kriegt, wenn er krank ist.“
„Was hatte er denn dabei?“
„In Plastik eingeschweißten Schoko-Croissant und Gummibärchen.“
Und dann folgen ganz von selbst Geschichten von kleinem oder großem Kummer: „Und dann hat sie gesagt, sie ist nicht mehr meine Freundin“, oder von kleinem oder großem Glück: „Und dann habe ich gegen beide Jungs gleichzeitig gekämpft und gewonnen!“ (Der erste Satz stammt übrigens von dem Fünfjährigen, der zweite von der Siebenjährigen) und am Ende weiß ich manchmal mehr, als mir lieb ist, weil Nicht-Wissen ja auch Sicht-Nicht-Aufregen-Müssen bedeutet. Vielleicht frage ich heute Mittag auch einfach mal: „Na, wie war’s?“ und sonne mich in süßer Ignoranz. Ist ja schließlich fast Wochenende.

Ein Kommentar

  • Claudi

    Ha, … was die ornithologischen und sonstigen naturkundlichen Kenntnisse betrifft, geht es mir ganz wie Fridolin – bei uns sind da familienintern die Rollen vertauscht. Da ich tatsächlich Brillenträgerin bin, kann ich mich oft wirklich glaubhaft rausreden – was aber trotzdem meist mit Augenrollen und „Aber Mama, das ist doch …“ quittiert wird.
    Also herzliche Grüße – er ist da nicht allein 😉

    übrigens: schön, dass du doch weitermachst!

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