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FKK
Ich hätte mir doch einen neuen Bikini kaufen sollen, denke ich, während ich mit den Kindern in der Nordsee bade und bei jeder Welle meinen ausgeleierten Badeanzug festhalten muss, damit er nicht Körperteile freilegt, die besser bedeckt bleiben sollten. Hinter uns auf dem Deich schwitzen dicht an dicht die Urlauber. Nach der Weite Brandenburgs überfordert uns diese Menschenansammlung. Dabei sind wir noch nicht einmal an einem der touristischen Hot Spots sondern in Dithmarschen, das vor allem für seine Kohlfelder berühmt ist. Tagsüber verkriechen wir uns im kühlen Haus von Friedolins Großeltern. Abends kommen wir mit der Flut zum überfüllten Deich. Bei so viel Publikum habe ich sicherheitshalber ein Frühwarnsystem installiert.„Mama,…
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9-Euro Sauna
Wir warten am Bahngleis in glühender Hitze auf unseren Zug zu den Großeltern. Der einfahrende Regionalexpress hält mit sensationell quietschenden Bremsen. Die Kinder halten sich die Ohren zu.„Das klingt, als ob ein Riese mit einer Riesengabel über einen Teller kratzt“, ruft die Neunjährige.„Deshalb heißt es auch, ich versteh nur Bahnhof“, kontert der Siebenjährige.Eigentlich stammt die Redewendung jedoch aus der Zeit des Ersten Weltkriege, wo das Wort Bahnhof für die Soldaten bedeutete, dass sie endlich nach Hause durften. Sie konnten an nichts anderes mehr denken als dieses Zauberwort, verstanden also immer nur Bahnhof.In unserem völlig überfüllten Nahverkehrszug ist die Klimaanlage ausgefallen und ich denke auch nur noch: Bahnhof. Bahnhof. Bahnhof. Die…
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Nackte Haut
Jetzt, wo der Sommer endlich da ist, denke ich ernsthaft darüber nach, meinen Körper zu renovieren. Was wie jedes Jahr zu endlosen Diskussionen führt. Zwischen meinem 20jährigen Ich, das um die Jahrtausendwende zu viel Werbung geguckt hat und sich daher die Beine unter einem Wasserfall rasieren möchte. Und meinem erwachsenen 2021-Ich, das findet, rasierte Achseln seien so was von Germany’s Next Topmodel und einer emanzipierten Existenz nicht würdig. Am Ende einigen sich meine Ichs darauf, dass ich mir die Beine rasieren darf, bis ich Krampfadern bekomme. So kann jeder meine Grasmilbenbisse bewundern, die sich wie eine blutige Sternenkarte über meine Waden erstrecken und Zeuge meiner naturverbundenen Existenz sind. Die Achseln…
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Eis!
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, die Klingel des Eiswagens am See aber schon. Ganz gleich, wie kalt das Wasser nach dem frostigen Frühling noch sein mag, als gestern der Eismann läutete, begann ganz offiziell unser Sommer. Die Kinder rannten im mehr oder weniger bekleideten Zustand vor Freude schreiend zum Sandweg zwischen den Kiesteichen und hüpften und winkten, bis der Eismann vor dem Tor unserer Parzelle hielt. Sie hatten natürlich nicht vorher gefragt, ob wir überhaupt Geld dabei haben. Denn wie unser Eismann so schön sagt: „Eis ist wichtiger, als Geld!“ Wenn wir kein Geld dabei haben oder den Eiswagen in letzter Sekunde tropfnass im Badeanzug abfangen, weil wir gerade…
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Das Paradies dichte bi
Abtauchen, das Wasser rauscht an meinen Ohren vorbei, für einen Moment in der Tiefe schweben, in einem Fächer aus Sonnenstrahlen, Stille. Zarte Schwanenfedern treiben wie Miniatursegel über mich hinweg, Wasserläufer balancieren mit gespreizten Gliedern an der Oberfläche. Auftauchen, atmen, auf dem Rücken treiben und in die Wolken schauen. Der Milan zieht seine Kreise über mir, unter mir liegt der lange Wels tief am kiesigen Grund. Manchmal kann ich ihn denken hören, dunkel und grün. Neben mir gleitet die Siebenjährige durchs Wasser. Sie ist ein Wassermädchen und schwimmt seit sie Vier ist wie eine Robbe durch den See. Der Fünfjährige keschert in Ufernähe Teichmuscheln und beobachtet Libellen. Unser See ist kein…
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Das zerbrechliche Glück
Im Schatten des knorrigen Kirschbaums liegen sieben Kinder und kichern. Die Großen kichern über ein TikTok-Video. Die Kleinen kichern, weil die Großen kichern. Das Haar hängt ihnen noch dunkel von Meerwasser in die Stirn, zwischendurch schieben sie sich ein Stück Stockbrot mit Grillkäse in den Mund oder verscheuchen träge eine der unzähligen Spätsommerwespen. Wir sitzen mit meiner Schwester, meinem Schwager und ein paar Freunden unter ihrer Laube in der Nähe von Kiel, der letzten Station unserer kleinen Sommerrundreise. Es ist eine dieser seltenen Konstellationen, bei der sich sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder miteinander rundum wohlfühlen. Zufrieden betrachten wir unsere zufriedenen Kinder. Sie liegen müde und satt und entspannt…
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Unser Sommer
Und dann gab es diesen Moment, an dem Corona ganz weit weg war und sich alles leicht und unbeschwert anfühlte. Wir schlenderten mit den Kindern in der Abenddämmerung über die sonnenverbrannte Weide in Richtung Fluss. Nach der sengenden Hitze begann der Tag langsam auszuatmen. Die Sonne brannte nicht mehr und verabschiedete sich mit weich schmeichelndem Abendlicht. In der Ferne graste die Stute mit ihrem Fohlen, das sich vertrauensvoll auf den Rücken legte, sobald die Siebenjährige es streichelte. Neben den Kindern schlich die scheue Bauernhof-Katze einher. Sie hatten ihr unsere leeren Quark- und Joghurtbecher zum Ausschlecken vor die Tür gestellt, seitdem folgte sie ihnen auf Schritt und Tritt. Wir liefen über…
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Unser Hochsicherheitstrakt
Die Johannisbeeren sind reif. Also beginnt Friedolin, nervös um die Küche herumzuschleichen. Ich könnte ja spontan auf die Idee kommen, Marmelade einzukochen. Da will er rechtzeitig intervenieren können. Wobei ich bezweifele, dass dieses Jahr viel zum Einkochen übrig bleibt. Unsere marodierenden Kinderhorden lassen kaum etwas übrig. Sollen sie ruhig, ich nasche Himbeeren, Erdbeeren und Zuckererbsen auch am liebsten direkt vom Strauch. Einzig die Johannis – und Jostabeerensträucher hängen noch voll, die sind den Kindern zu sauer. Aber die machen auch die schlimmsten Flecken.Friedolin und ich sind sehr unterschiedlicher Meinung, wie man Marmelade einkochen sollte. Seiner Ansicht nach müsste ich zunächst unsere stets vollgestellte Arbeitsplatte freiräumen, großräumig mit Zeitung oder dünnen…
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Mittsommer
Sommersonnenwende. An diesem Wochenende feiern wir den längsten Tag des Jahres und den Geburtstag des Vierjährigen, der ab heute der Fünfjährige genannt werden möchte. Er ist ein richtiger Mittsommerjunge, mit Sonne im Herzen und einem lichten Gemüt. Gefühlt und astronomisch beginnt jetzt der Sommer: die Früchte reifen, die Blumen blühen, die Natur berauscht uns mit Fülle und Duft und Farbe. Gleichzeitig befinden wir uns auf dem Zenit, ab jetzt bewegt sich die Sonne langsam wieder abwärts in Richtung Dunkelheit. Die Erzählung des Sonnen- oder Vegetationsgottes, der sich auf dem Höhepunkt seiner Kraft für seinen Opfertod vorbereitet, zieht sich durch alle Zeiten: Adonis, Baldur, Dionysos, Osiris und im Christentum die Enthauptung…