Unser Hochsicherheitstrakt
Die Johannisbeeren sind reif. Also beginnt Friedolin, nervös um die Küche herumzuschleichen. Ich könnte ja spontan auf die Idee kommen, Marmelade einzukochen. Da will er rechtzeitig intervenieren können. Wobei ich bezweifele, dass dieses Jahr viel zum Einkochen übrig bleibt. Unsere marodierenden Kinderhorden lassen kaum etwas übrig. Sollen sie ruhig, ich nasche Himbeeren, Erdbeeren und Zuckererbsen auch am liebsten direkt vom Strauch. Einzig die Johannis – und Jostabeerensträucher hängen noch voll, die sind den Kindern zu sauer. Aber die machen auch die schlimmsten Flecken.
Friedolin und ich sind sehr unterschiedlicher Meinung, wie man Marmelade einkochen sollte. Seiner Ansicht nach müsste ich zunächst unsere stets vollgestellte Arbeitsplatte freiräumen, großräumig mit Zeitung oder dünnen Spanplatten abdecken und dann mit dem Einkochen beginnen. Im Idealfall mit einem Eimer Speziallauge zur Hand, um etwaige Flecken direkt zu beseitigen.
Ich sage, bis ich mit diesen Vorbereitungen fertig bin, ist das Zeitfenster, das mir diese Familie zum Einkochen bewilligt, längst wieder geschlossen und die Frucht am Strauch verfault. Also stelle ich mir wie immer lediglich ein mit Küchenhandtuch ausgelegtes Tablett bereit und hantiere unter Zeitdruck mit stark färbendem Obst, während Friedolin um mich herum wuselt und mir Spanplatten unterschiebt. Es ist ja nicht so, dass er pedantisch ist. Wenn ihm zum Beispiel Pfannkuchenteig auf dem Boden tropft, nimmt er auch nicht sofort einen Lappen zur Hand und wischt den weg. Meistens vergisst er den Fleck und ich entferne ihn dann später, was gerade im Winter mit Fußbodenheizung kein Vergnügen ist. Nein, er hat leider vor ein paar Jahren die Küche unseres Vorbesitzers liebevoll renoviert und unter anderem eine sehr schöne, mit Leinöl behandelte Buchenvollholz-Arbeitsplatte eingebaut.
Seitdem ist unsere Küche ein Hochsicherheitstrakt und meine Hobbys werden streng überwacht. Tinkturen mit Glycerin ansetzten – färbt. Aus Johanniskraut Rotöl ziehen – färbt. Marmelade und Sirup kochen – färbt. Also ehrlich, wozu hat man denn eine Arbeitsplatte, wenn man sie nicht benutzen darf? Streng genommen müsste das Ding: Unterkonstruktion-für-eine-noch-aufzulegende-Arbeitsplatte heißen. Wenn meine von mir mit Kreidelack aufgearbeiteten Küchenschränke Macken kriegen, weil Friedolin mal wieder schweres Gerät durch die Küche in den Garten schleppt, stelle ich mich auch nicht so an. Und überhaupt, ich finde, all die Flecken und Abdrücke und Ringe erzeugen auf einer Arbeitsplatte doch erst die Patina, die von einem erfüllten Leben erzählen. „Ach guck mal, bei dem Fleck hatte der Kleine sich den Schneidezahn auf der Rutsche verbogen, worüber ich doch glatt den kochenden Holunderbeersirup vergaß.“
So oder so unterstreicht der ganze Zirkus mal wieder meine Theorie: Renovieren macht das Haus zwar schöner, die Einwohner aber nicht unbedingt entspannter.