Frühling

Der Steinzeitphallus

Der Stein sieht exakt aus wie ein beschnittener Penis. Mit Hodensack und allem drum und dran. Als hätte ihn ein Homo erectus erschaffen. Der Vierjährige hält ihn mir strahlend entgegen: „Ist der gut?“, fragt er. Die Sechsjährige steht betrübt mit einem Schneckenhaus daneben. „Sein Penis ist viel cooler“, mosert sie. Diesen Satz sagen Mädchen mit Brüdern ja öfter. Der Vierjährige streckt ihr die Zunge raus: „Das ist mein Penis, ich hab ihn gefunden.“ Sie kontert mit: „Du Römer!“, ihr neues Lieblingsschimpfwort seit der Kreuzigungsgeschichte. Und wieder finde ich mich in einer dieser Szenen, bei denen ich mich frage, ob alle Kinder diesen Hang zum Surrealismus haben.
Die beiden waren losgezogen, um Schmuck für unseren Frühlings-Altar zu sammeln. Dabei hatte ich allerdings eher an Fruchtbarkeitssymbole wie Eier und Blüten gedacht und nicht an einen Steinzeitphallus. Die Kinder drapieren ihre Schätze liebevoll auf dem alten Mühlstein, den wir im Laufe des Jahreskreises immer neu gestalten. Darunter hockt manchmal eine dicke Kröte. Unser Garten ist bevölkert von Naturgeistern und alten Göttern. Jesus war gestern dran, heute feiern wir den Frühling. Weil das Osterfeuer zum großen Kummer der Kinder ausfällt, entzünden wir heute unser heimisches Frühlingsfeuer und nicht wie sonst am 21. März zur Tag-und-Nacht-Gleiche. Wir corona-kompensieren, wie so oft in letzter Zeit. Ich habe die Jahreskreisfeste eingeführt, weil ich mal etwas ohne Geschenkewahnsinn und hyperventilierende Kinder feiern wollte. Zu den alten heidnischen Festen gibt es, was die Natur uns schenkt. Das Fest selbst ist unser Geschenk. Wir sitzen um das Feuer, räuchern Kräuter, rösten Brotfladen, reden über das, was war und das, was kommt, denken an die, die nicht mehr da sind, singen und erzählen Geschichten. Die Kinder hüllen Kartoffeln in Lehm und legen sie in die Glut. Aus dem übrigen Lehm formen sie kleine Fruchtbarkeitsgöttinnen. Die Sechsjährige wundert sich, warum es in der Kirche „Gott, der Herr“ und „Gott, der Vater“ heißt. Sie stellt sich Gott im alttestamentarischen Sinn vor, als es noch hieß: „Ich bin Gott, kein Mann.“ Am schönsten findet sie, was sie in der Kinderkirche gelernt hat: Gottes Name bedeutet ICH BIN DA. Bei jemanden sein, mit jemandem sein, darauf kommt es an. In diesen Tagen wird uns das besonders bewusst.

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