Abgeschminkt
Die Kinder hassen es, wenn ich mich schminke.
„Du siehst dann immer so komisch aus“, sagt die Siebenjährige.
„Ja, gar nicht mehr so wie du“, ergänzt der Fünfjährige und schaut dabei drein, als hätte ich sein Lieblingskuscheltier in der 90 Grad-Wäsche geschrumpft.
Daran kann man mal sehen, wie sehr Selbstwahrnehmung und Außenwirkung auseinander driften. Ich finde nämlich, dass ich mit zunehmenden Alter nur noch geschminkt aussehe wie ich. Vor allem nach zu kurzen Nächten im Winter. Dann sehe ich aus, ich wiederhole ich mich an dieser Stelle, als hätte ich gerade Zwiebeln geschnitten, einen allergischen Schock erlitten und einen Knödel auf dem Kopf. Aber da ich seit Corona grundsätzlich ungeschminkt durch die Tage treibe, kann ich verstehen, dass die Kinder von meinem lackierten Gesicht verschreckt sind.
„So sieht doch Haut nicht aus“, sagt die Siebenjährige und zeigt vorwurfsvoll auf meinen von Make-Up geglätteten Teint.
Ich kann mich durchaus an Situationen meiner Kindheit erinnern, wo ich mit einem ebensolchen Gefühl von Fremdheit meine Mutter anstarrte, die sich für einen Ball schick gemacht hatte. Wobei das die 80er waren und reichlich knallblauer Lidschatten und rosa Lippenstift involviert war. Ich hingegen versuche ja, geschminkt ungeschminkt auszusehen. Scheint aber nicht funktioniert zu haben, wenn man den skeptischen Blicken der Kinder glauben darf.
Anlass für die ganze Schminkerei war eine Fotosession im sehr schönen Gewächshaus unserer Nachbarn, wo Friedolin Fotos von mir und den Kindern für ein Interview mit der wirklich großartigen Julia Braun von der Neuen Presse schießen sollte, das am kommenden Dienstag erscheint. Als Vorbereitung für unseren „Tage in Corona“-Livestream am 26. März aus dem TAK Hannover. Da ich gerade so wenig Kontakt zu Erwachsenen aus der Kulturbranche habe, redete ich beim Telefoninterview eine Stunde lang wie ein Wasserfall. Ich fürchte Frau Braun hatte im Anschluss eine Blase am Ohr, einen Schreibkrampf und viel Mühe, aus diesem Wortschwall Zitierfähiges für das Interview rauszufiltern.
Beim Foto-Shooting äußerte Friedolin seine Kritik an meinen Make-Up-Künsten eher indirekt: Ich war auf 90 Prozent der Bilder unscharf. Er bezeichnete es natürlich als Bildkomposition mit Unschärfen. Aber ich habe den Punkt verstanden. Meine Familie findet mich ungeschminkt am schönsten. Wobei das Wort „schön“ in keinem Kontext gefallen ist. Also korrigiere ich: Meine Familie findet mich ungeschminkt.