• Nachhaltigkeit,  unser Dorf

    „Alle großen Bäume gefällt“

    Wir brauchen dringend Regen. Wieder so ein Satz, den ich früher in der Stadt nie gesagt hätte. Da bedeutete Regen, dass ich nicht Fahrrad fahren konnte und mit der U-Bahn dauerte alles doppelt so lang. In der Stadt hab ich Sätze gesagt wie: „Hast du das neue Stück von René Pollesch gesehen?“ Aber seit ich auf dem Dorf wohne, bin ich so weit, dass ich René Pollesch für eine alte Apfelsorte halte. Also, es fehlt Niederschlag. Wir sitzen hier schon wieder seit Wochen auf dem Trockenen und meine Beete bekommen Risse wie meine Schienbeine im Winter. Die Kinder finden das natürlich spitze. Bei anhaltenden Hochdruckgebieten dürfen sie die Gärten und…

  • Sommer,  unser Dorf

    Das Paradies dichte bi

    Abtauchen, das Wasser rauscht an meinen Ohren vorbei, für einen Moment in der Tiefe schweben, in einem Fächer aus Sonnenstrahlen, Stille. Zarte Schwanenfedern treiben wie Miniatursegel über mich hinweg, Wasserläufer balancieren mit gespreizten Gliedern an der Oberfläche. Auftauchen, atmen, auf dem Rücken treiben und in die Wolken schauen. Der Milan zieht seine Kreise über mir, unter mir liegt der lange Wels tief am kiesigen Grund. Manchmal kann ich ihn denken hören, dunkel und grün. Neben mir gleitet die Siebenjährige durchs Wasser. Sie ist ein Wassermädchen und schwimmt seit sie Vier ist wie eine Robbe durch den See. Der Fünfjährige keschert in Ufernähe Teichmuscheln und beobachtet Libellen. Unser See ist kein…

  • Kinder

    Das Konversations-Chaos

    Friedolin und ich reden fast nur noch Englisch beim Essen. Ich könnte jetzt behaupten, dass wir alles für die kindliche Frühförderung tun. Tatsächlich hagelt es Zwischenrufe, wenn wir uns auf Deutsch unterhalten: Friedolin: „Wir müssen die PV-Anlage vorm Winter dringend…“Siebenjährige: „Was ist die PV-Anlage?“Ich: „PV steht für Photovoltaik – die Platten auf unserem Dach, die Sonnenlicht in Strom verwandeln.“ zu Friedolin: „Aber Friedolin, was müssen wir denn…Fünfjähriger: „Wo Papa mal hochgeklettert ist, weil die ein Vogel durchgepickt hat?Friedolin: „Ja, das war der Temperaturfühler von den Warmwasserkollektoren.“ zu mir: „Da müssen wir die Solarflüssigkeit aus…“Siebenjährige: „Foto so wie in Fotografieren?“Ich: „Ja, das ist der gleiche Wortstamm, Photo bedeutet Licht und für…

  • Corona-Chronik,  Urlaub

    Wir spielen Hotel

    Es sind Ferien und wir brunchen in unserem heimischen Privat-Hotel. Friedolin mimt den Küchenchef, bei dem man sich wünscht, dass er ein Haarnetz tragen würde. Ich spiele den schlechtgelaunten Gast, der von der Putzkolonne geweckt wurde, weil er vergessen hat das „Bitte nicht stören“-Schild an die Tür zu hängen. Unsere Tochter sitzt am Eingang zum Speisesaal und fragt nach der Zimmernummer.„Mein Zimmer hat gar keine Nummer“, sagt der Vierjährige verwirrt.„Dann darfst du hier auch nicht rein“, sagt die Große streng. Sie hat oft erlebt, wie ich auf Tour übernächtigt die Zimmernummer nicht wusste, weil wir ja jede Nacht das Hotel wechseln. Der Vierjährige ist kurz vorm Weinen. Dabei hat das…

  • Herbst

    Altweibersommer

    Die Mauersegler sind fort. Der Himmel über unserem Garten ist seltsam still und leer. Früh morgens auf dem Weg zum Kindergartenbus schmeckt die Luft schon nach Laub und Fallobst und Abschied. Der Fünfjährige bläst Atemwolken vor sich in die kalte Luft wie eine Miniatur-Dampflok und sammelt unreife Albino-Kastanien. Die Siebenjährige ist mit Tierhaaren übersät, unsere Kaninchen bekommen Winterfell. Ich frage mich, ob ich je wieder Winterfell sagen kann, ohne an Game of Thrones zu denken. Die Hühner haben die Mauser beendet und uns ihre filigran gemusterten Federn überlassen. Jetzt legen sie wieder Eier, bevor sie für die dunkle Jahreszeit endgültig pausieren. Ich trockne Kaninchenfutter und Teepflanzen. Wenn wir sie im…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Welche Farbe hat Fantasie?

    „Mama, welche Farbe hat Fantasie?“ Ich versuche die Augen zu öffnen, aber die schlafen noch, die glücklichen. Ich kriege keine Luft. Jetzt habe ich aber wirklich Corona, denke ich. Doch es sitzt nur ein Kind auf meiner Brust. „Weiß ich nicht“, versuche ich zu sagen. Es klingt aber mehr wie „Wschnscht.“„Wschnscht ist doch keine Farbe“, sagt meine Tochter. „Fantasie hat nicht nur eine Farbe, Fantasie ist alle Farben.“ Zufrieden klettert sie von mir runter. Natürlich nicht, ohne mir dabei in die Magengrube zu treten. „Schön, dass wir das geklärt haben“, ächze ich und dreh mich nochmal um. Vor Sonnenaufgang habe ich keine Sprechstunde. Das Zwielicht zwischen Wachen und Schlafen gehört…

  • Sommer,  Urlaub

    Das zerbrechliche Glück

    Im Schatten des knorrigen Kirschbaums liegen sieben Kinder und kichern. Die Großen kichern über ein TikTok-Video. Die Kleinen kichern, weil die Großen kichern. Das Haar hängt ihnen noch dunkel von Meerwasser in die Stirn, zwischendurch schieben sie sich ein Stück Stockbrot mit Grillkäse in den Mund oder verscheuchen träge eine der unzähligen Spätsommerwespen. Wir sitzen mit meiner Schwester, meinem Schwager und ein paar Freunden unter ihrer Laube in der Nähe von Kiel, der letzten Station unserer kleinen Sommerrundreise. Es ist eine dieser seltenen Konstellationen, bei der sich sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder miteinander rundum wohlfühlen. Zufrieden betrachten wir unsere zufriedenen Kinder. Sie liegen müde und satt und entspannt…

  • Gesellschaft,  Paar

    Liebeszauber

    Ab jetzt vermittele ich auch Liebeszauber. Falls der Ehemann weggelaufen ist oder fremd geht, wendet Euch an mich. Ich habe gute Kontakte zu mächtigen Zauberwirkern. In der Kommentarspalte meines Blogs tauchen ständig Telefonnummern für Liebeszauber auf. Da die geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es sich um Spam handelt, entferne ich sie. Alle Einträge sind Erfahrungsberichte von geplagten Ehefrauen, die wortreich von mächtigen Liebeszaubern schwärmen, die ihren Mann zurück gebracht und in einen umsorgenden Partner verwandelt haben. Der Zauber funktioniert per Whatsapp. Ich finde es bezeichnend, dass ich ausschließlich Liebeszauber-Spam bekomme. Keine Penisverlängerung oder anderen Schmuddelkram. Scheinbar lesen die Spam-Verbreiter meinen Blog. Beziehungsweise, sie überfliegen ihn. Mein Mann hat mich ja nicht…

  • Mamaaa!!!,  Nachhaltigkeit

    Lass fetten, Baby!

    Ich bin Trendsetterin. Ich war dem shampoofreien Haarwasch-Trend „No-Poo“ um Jahre voraus. Bei mir hieß das allerdings „auftrittsfreie-Zeit“. Als dann No-Poo durch die Medien geisterte, dachte ich zunächst, dass sei wieder so ein verrückter Ernährungstrend aus Kalifornien, bei dem man nicht mehr kackt. To poo ist ja das englische Äquivalent zu Aa-machen. Aber nein, es bedeutet lediglich, sich ohne Shampoo die Haare zu waschen. Wow, was für eine Erfindung. Haben unsere Vorfahren zwar für Jahrhunderte praktiziert, aber echt crazy, was die Sozialen Medien da ausgegraben haben. Meal-Prep statt Fertiggerichte. Essigessenz statt Allzweckreiniger. Bienenwachstücher statt Alufolie… es wird ja immer wieder als Mega-Trend angepriesen, was für unsere Großeltern noch vollkommen selbstverständlich…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Die militante Oma

    Meine Mutter ist auf kaltem Entzug. Drei Wochen allein in freiwilliger Quarantäne in der Stadt, drei Wochen ohne Enkelkinder. Die Substitutionstherapie aus Schokotrüffeln und Eierlikör schlägt nicht mehr an. Sie entwickelt bedenkliche Entzugserscheinungen. Täglich schickt sie uns Selfies von ihren selbstgebastelten Atemschutzmasken, mit denen sie andere Kunden im Supermarkt verschreckt. Die Strategie geht auf. Im Gegensatz zu uns hat sie immer Mehl und Klopapier. Vielleicht liegt es auch an ihrem ausgeprägten Heuschnupfen. Sobald sie niesend und maskiert den Supermarkt betritt, leert sich das Geschäft schlagartig. Sollten die Supermärkte in Hannover pleite machen, meine Mutter ist Schuld. Als sie anfängt, die Enkelkinder ihrer Nachbarn zu stalken, ziehen wir die Reißleine. Denn…