Corona-Chronik,  Kinder

Welche Farbe hat Fantasie?

„Mama, welche Farbe hat Fantasie?“
Ich versuche die Augen zu öffnen, aber die schlafen noch, die glücklichen. Ich kriege keine Luft. Jetzt habe ich aber wirklich Corona, denke ich. Doch es sitzt nur ein Kind auf meiner Brust.
„Weiß ich nicht“, versuche ich zu sagen. Es klingt aber mehr wie „Wschnscht.“
„Wschnscht ist doch keine Farbe“, sagt meine Tochter. „Fantasie hat nicht nur eine Farbe, Fantasie ist alle Farben.“ Zufrieden klettert sie von mir runter. Natürlich nicht, ohne mir dabei in die Magengrube zu treten. „Schön, dass wir das geklärt haben“, ächze ich und dreh mich nochmal um. Vor Sonnenaufgang habe ich keine Sprechstunde. Das Zwielicht zwischen Wachen und Schlafen gehört mir ganz allein. Dort kann ich meine Träume steuern, Kurs Nord-Nordost, steifer Wind, Wellenrauschen, Möwenschreie… „Was fliegt, spuckt Feuer und wenn es im Himmel ist, fällt der Popo ab?“ lispelt ich eine kleine Stimme mit feuchter Aussprache in mein Ohr. Seltsamer Traum, denke ich, „Wschnscht“, sage ich. Wenn ich mal eine Reinigungsfirma gründe, wird das mein Slogan. „Falsch, eine Rakete“, sagt der Vierjährige und tippt mit klebrigen Fingern in meinem Gesicht herum.
„Ist heute Kindergarten?“
„Nein, immer noch nicht.“
Sonst will er nie in den Kindergarten. Jetzt darf er nicht, darum will er natürlich.
„Wann ist denn wieder Kindergarten?“
„Wschnscht.“
„Nach Corona?“
„Ja, nach Corona“, sage ich und fühle mich wie eine Hochstaplerin. Gerade kommt es mir vor, als ob es kein „nach Corona“ gäbe. Als ob wir weiter und weiter in dieser unwirklichen Seifenblase treiben, bis sie platzt. Hoffentlich fallen wir dann weich. In die Arme unser Freunde, in die Arme unserer Familie. Ich schließe noch einmal die Augen und träume davon. In allen Farben.

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