Gesellschaft

CD – Ruhe in Frieden!

Ich habe etwas hoffnungslos anachronistisches getan: ich habe eine CD verschenkt. Eine neu gekaufte CD, die ich nicht bei Amazon bestellt hatte. An eine Freundin, von der ich weiß, dass sie noch einen CD-Player besitzt. Was ja heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Immer häufiger hören Friedolin und ich nach Auftritten – also, haben wir nach Aufritten gehört, damals, als es noch Live-Auftritte vor Publikum gab, die Älteren werden sich erinnern – also immer häufiger hören wir: „Ich würde ja sehr gern eine CD von euch kaufen, aber ich habe keinen CD-Player mehr. Seid ihr auf Spotify?“ Ja, sind wir, kommt man als Künstler ja kaum drum rum. Damit verdienen wir aber nichts. Deshalb werden wir von unserem neuen Programm vermutlich gar keine CD mehr herstellen. Die CD-Verkäufe sind dramatisch eingebrochen. Die Plattenfirmen stellen die Produktion von Kabarett-CDs nach und nach ein, selbst von den großen Fernseh-Namen verkaufen sich wenn überhaupt nur DVDs. Es wird nur noch gestreamt. Aber wir bekommen als Künstler von Spotify Deutschland lediglich ca. 0.002862237673 Euro pro Stream. Um also eine halbwegs professionelle Tonaufnahme eines Kabarett-Programms zu finanzieren, bräuchte man über 5000000 Streams, um wenigstens die Unkosten drin zu haben. So viele Klicks haben wir aber nicht. Solange also nicht klar ist, wo die Reise mit der Kulturbranche nach Corona hin geht, werden wir uns auf Wohnzimmerproduktionen beschränken.
Also schenke ich in verzweifelten Gedenken an die guten alten Zeiten CDs. Aber schon bei den Freunden unserer Kinder geht das nicht mehr. Die hören ihre Hörspiele auch alle über Spotify oder ganz kostenlos auf youtube. Vorbei die Zeit, als Kinder an Weihnachten bibberten, ob sie auch wirklich die neue ???-Kassette bekommen würden oder doch nur Strümpfe. Und die Kassette dann wieder und wieder und wieder hörten, beim Aufräumen oder Basteln oder kindlich vor sich hin prötscheln, bis man jeden Satz mitsprechen konnte und sich trotz des Nervenkitzels der spannenden Abenteuer in absoluter Sicherheit wiegen konnte, dass es gut ausgeht. Weil man das Ende ja bereits kannte. Die Kinder konnten dank der Wiederholung zu Experten werden. Im echten Leben ist in dem Alter ja noch alles neu und muss erst erlernt werden. Da gab das Immergleiche und Begrenzte der Kassetten ein Gefühl von Stabilität und Überlegenheit. Und manchmal auch Langeweile, was aber nicht weniger wichtig ist. Ich finde die Weiten von Spotify und youtube stellen vor allem für jüngere Kinder eine unkontrollierbare und undurchdringliche Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten dar. Oft merke ich im Gespräch, dass Kinder den Inhalt der gehörten Geschichten gar nicht verstanden haben, geschweige denn wiedergeben können. Wie auch, nach einmaligem Hören, das fällt ja schon Erwachsenen schwer. Unsere Kinder hören noch CDs oder die Kassetten meiner Kindheit, die auf dem Dachboden meines Vaters überlebt haben. Sie lagern in einem alten Koffer unter meiner Schallplattensammlung. Erwähnte ich, dass ich hoffnungslos anachronistisch bin?

Für Teenager sind TikTok und Spotify aber natürlich wahre Goldgruben. Was hätte ich mit 14 für diese Möglichkeiten gegeben. Wenn ich bis spät nachts vor MTV auf der Lauer lag, um meinen Lieblingssong aufzunehmen, über eine komplizierte Verkabelung des Videorekorders mit dem Kassettendeck meines Vaters. Wie oft wollte ich den VJs ins Gesicht springen, wenn sie am Ende in das Lied reinquatschten. Ganze Nachmittage verbrachte ich im CD-Verleih, fuhr mit der Straßenbahn nach Hause, hörte manisch die CDs quer, überspielte die besten Titel auf Kassette und fuhr wenige Stunden später zittrig wieder in die Stadt, um den günstigen 3-Stunden-Tarif nicht zu überschreiten. Für die besten CDs sparte ich eisern mein Taschengeld und behandelte sie wie Heiligtümer, sobald ich sie in den Händen hielt. Zunächst dachte ich, dass den heutigen Teenagern diese Erfahrung durch die Schnelllebigkeit und Austauschbarkeit von Spotify und Co verloren geht. Dann las ich bei einem Bekannten, dem Musikjournalisten Daniel Koch, folgende Zeilen:

„Einige TikTok-Kids hörten kürzlich ein sechseinhalbstündiges Instrumental-Album über Demenz von Leyland James Kirby (hier als The Caretaker) und tauschten sich in diversen Challenges über ihre Reaktionen und ihren Umgang mit trauriger Musik aus – was dem Album einen neuen Boost gegeben hat und eine Hörerschaft, die sicher nicht die angepeilte Zielgruppe war.“
Das hat mich beeindruckt und meine Sicht auf die Streaming-Kultur verändert. Ich hoffe, dass unsere Kinder Musik und deren Künstler ähnlich intensiv erfahren werden, wenn sie in das Alter kommen. Gerade stehen sie total auf ABBA. Allerdings in der Soundtrack-Version von Mama Mia! Die Siebenjährige hatte sich die Musik zu Weihnachten gewünscht und zwar ganz explizit als CD, weil sie etwas in den Händen halten wollte. So ein Download-Code macht sich ja nicht so schön unterm Weihnachtsbaum.

Ein Kommentar

  • Claudi

    …Wir haben unseren Kindern ganz bewusst CD-Player mit Kassettenfach gekauft – sie sollen ja unsere alten Heiligtümer noch hören können. Und die immer gleichen CDs von Bibi und Tina über Zukowski, Lakomy, Was ist Was?, bis hin zu – ja, leider – den Frozen-Soundtracks laufen hoch und runter.
    Erst kürzlich haben sie tatsächlich mal nachgefragt, ob ihre Geräte denn auch Internet-Radio spielen …

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