Nachhaltigkeit,  unser Dorf

„Alle großen Bäume gefällt“

Wir brauchen dringend Regen. Wieder so ein Satz, den ich früher in der Stadt nie gesagt hätte. Da bedeutete Regen, dass ich nicht Fahrrad fahren konnte und mit der U-Bahn dauerte alles doppelt so lang. In der Stadt hab ich Sätze gesagt wie: „Hast du das neue Stück von René Pollesch gesehen?“ Aber seit ich auf dem Dorf wohne, bin ich so weit, dass ich René Pollesch für eine alte Apfelsorte halte. Also, es fehlt Niederschlag. Wir sitzen hier schon wieder seit Wochen auf dem Trockenen und meine Beete bekommen Risse wie meine Schienbeine im Winter. Die Kinder finden das natürlich spitze. Bei anhaltenden Hochdruckgebieten dürfen sie die Gärten und Höfe der Nachbarschaft unsicher machen und zusehends verwildern. Meine Eltern haben mir als Kind so sehr das Credo eingeimpft: ‚Bei gutem Wetter wird nicht drinnen gehockt“, da komme ich selbst in Zeiten des Klimawandels nicht von runter. Das sitzt ähnlich tief wie, dass vom Popeln die Nasenlöcher ausleiern. Ich drücke immer nach dem Popeln meine Nasenflügel zusammen, meine Nase ist so schon groß genug. Ich schweife heute ab, ich hab mir meine Multitasking-Muskeln gezerrt. Eigentlich wollte ich ja über Trockenheit schreiben. In den Nachbargärten sind schon viele große Bäume abgestorben, das Oberflächenwasser wird nach den heißen Sommern immer weniger. Ohnehin werden gerade ständig Bäume gefällt. Die Leute haben Angst vor Sturmschäden und entledigen sich der großen Bäume. Was natürlich eine Milchmädchenrechnung ist. Weniger Bäume = mehr Klimawandel = noch mehr Stürme. Zur ökologischen Kompensation wird dann ein Pool in den Garten gepflanzt. Als wir damals auf Häusersuche waren, lauteten erstaunlich viele Anzeigen: „Alle großen Bäume gefällt – nie wieder Laub harken“ oder „Alles gepflastert – nie wieder Rasenmähen.“ Ich frage mich, warum sich Menschen Gärten anschaffen, nur um sie dann sofort zu sterilisieren. In unserem Garten stehen zwei wunderschöne alte Ahornbäume, das war für uns einer der Hauptgründe, dieses Haus zu kaufen. Die Nachbarn versuchten uns am Anfang sanft zu überreden, die Bäume zu fällen. Sie machen viel Arbeit, all das Laub im Herbst und im Frühjahr dürfen wir und die Nachbarn eine Armee aus Baby-Ahörnern jäten. Dafür müssen wir uns bei 36 Grad nicht im Haus verkriechen. Die Luft unter den großen Baumkronen ist bis zu 8 Grad kälter. In heißen Sommern sind die Bäume die grüne Lunge der Siedlung. Außerdem wohnt eine Dryade in dem mächtigen Spitzahorn, aber das erzähle ich natürlich niemanden.

Der Himmel bleibt erbarmungslos blau. Die Bauern müssen schon wieder ihre Felder sprengen und meine Regenwasserzisternen sind leer. Also können die Kinder ihren Sandkasten nicht mehr mit der Schwengelpumpe fluten. Ich hätte nie gedacht, dass in Niedersachsen jemals Wasserknappheit herrscht. Wir sind ja bekannt für unser Schietwetter. Dafür dürfen die Kinder jetzt die Setzlinge in den Beeten mit Wasserpistolen gießen. Und natürlich sich selbst. Es sieht dann immer sehr reizend aus, wenn abends neben der Wäsche auch die tropfnassen Kinder an der Leine zum Trocken hängen.

Eine Antwort schreiben