• unser Dorf,  Winter

    Trecker im Schnee

    Wir Niedersachsen kennen uns mit Schnee ja nicht so gut aus. Wenn es mal ordentlich schneit, was höchstens alle 20 Jahre vorkommt, geht nichts mehr. Busse und Bahnen stehen still, die wenigen Räumfahrzeuge kommen gegen den Schnee nicht an und irgendwer von der Stadtverwaltung hat mal wieder vergessen, das Streugut nachzubestellen. Was für ein Glück, wenn man dann einen Nachbarn mit Trecker hat. Ich meine, wir müssen zwar gerade ohnehin nirgendwo hin, aber für die Kinder war der Schneesturmtag besser als jeder Besuch im Freizeitpark.Als sie gestern morgen zum Schneedienst antraten, um die Zufahrt unserer bettlägerigen Hofmitbewohnerin für den Pflegedienst freizuschippen, war unser sehr toller Nachbar schon mit seinem Trecker…

  • Mamaaa!!!

    Verlorene Zeit

    Das Ticken der Pendeluhr. Das Knacken des Kaminfeuers. Das Knarzen der Fichten vor dem Haus. Die leisen, gleichmäßigen Atemzüge meiner schlafenden Großeltern. Geräusche zur Mittagszeit aus längst vergangenen Tagen. Es waren Stunden der friedvollen Langeweile. Wenn meine Großeltern Mittagsschlaf hielten, mussten meine Schwester und ich uns still verhalten. Also las ich zum hundertsten Mal das einzige Kinderbuch im Haus: Die Konferenz der Tiere. Ich kämmte die Teppichfransen im Wohnzimmer. Ich schob die Figuren auf dem elektrischen Schachbrett hin und her. Es gab keine Kinderspiele im Haus meiner Großeltern. Mein Großvater brachte uns früh Schach bei und das japanische Strategie-Spiel Go. Manchmal war es frustrierend gegen einen Schachmeister anzutreten, der in…

  • Herbst

    Unser Dorf ist Halloween-Sperrgebiet. Dafür brauchen wir Corona nicht. Letztes Jahr sind drei Jungs mit schwarzen Umhängen durchs Dorf gezogen und haben halbherzig an ein paar Türen geklingelt. Die Antwort fiel immer gleich aus: „Ihr habt euch wohl im Tag geirrt! Kommt am Martinstag wieder, dann gibt’s was.“ Bei uns hat niemand geklingelt, ich hätte aber das gleiche gesagt. Da bin ich konservativ. In meiner Heimatstadt Hannover verdrängt Halloween den Martinstag zusehends. Hier auf dem Dorf halten wir noch wacker an der alten Tradition fest. Ich finde schade, wenn der rituelle Ursprung von Festen völlig von Kommerz und Krawall überlagert wird. Am Martinstag wird der Heischebrauch immerhin noch mit der…

  • Winter

    Einmal Beach Boys, bitte

    Gestern Abend hat sie mich doch noch erwischt. Auf den letzten Metern Winter. Als ich erschöpft im Bett lag und keinen Widerstand mehr leisten konnte, setzte sie sich bleischwer auf meine Brust und höhnte mit nasaler Stimme, die ebenso grau und trist klang wie dieser verregneter Februartag: „Dein Leben ist sinnlos, deine Freunde tun nur so, als ob sie dich mögen, und dein Teint ist eine Zumutung. Und das ist erst der Anfang, Baby.“„Dich kann ich jetzt gerade echt nicht gebrauchen“, nuschelte ich müde, „Geh zu den Corona-Leugnern. Wenn die mal ’ne Weile nicht aus dem Bett kommen, sinken die Infektionszahlen schneller.“ Ich versteckte mich unter dem Kopfkissen und nahm…

  • unser Garten

    Arach, nee!

    Meine Spinnenphobie ist erfolgreich therapiert. An dieser Stelle möchte ich allen Freiwilligen danken, die sich in den letzten Jahren an meiner unfreiwilligen Konfrontationstherapie beteiligt haben. Allen voran den Heerscharen von Zitterspinnen, die bisher jede meiner Wohnungen bevölkerten, was sicher nicht als Zufall gewertet werden kann. Besonders hervorheben möchte ich hierbei die Zitterspinne, die am Abend des Einzugs in meine erste gemeinsame Wohnung mit Friedolin aus der über der Badewanne befindlichen Therme direkt auf meinen nackten, in der Badewanne befindlichen Bauch fiel, was mich zwar zu dem damaligen Zeitpunkt der Therapie noch dazu bewegte, walfischartig aus der vollen Wanne zu wälzen und auf allen Vieren quietschend davon zu krabbeln. Nach diesem…

  • Kinder

    Der durchlässige Clown

    Der Fünfjährige entwickelt eine Bühnenpersönlichkeit. Sie changiert irgendwo zwischen Bugs Bunny und Paul Newman.Als Friedolin sich gestern früh laut trompetend die Nase schnäuzte, bemerkte der Fünfjährige trocken: „Kann mal jemand diesen Elefanten zurück in den Zoo bringen?“Dabei stand er lässig in den Türrahmen gelehnt, mit einem abgebrochenen Bleistift als Zigarette im Mundwinkel. Ich wüsste gern, wen er sich da zum Vorbild nimmt. Friedolin und mich schonmal nicht. Und Fernsehen guckt er ja eigentlich auch kaum. Seine Posen funktionieren erstaunlich gut, bis zu dem Moment, in dem er sich über sich selbst schlapp lacht und aus dem Zimmer rennt. Wobei manch Fernseh-Comedian auch so einen Abgang hinlegt, nur dass er vorher…

  • Allgemein

    Absage an die Ansprüche

    Ganz ehrlich: ich will das nicht mehr. Ich arbeite seit drei Wochen wieder und der Ferien-Energie-Speicher ist komplett aufgebraucht. Ich bin abends zu müde zum Einschlafen. Ich bin morgens zu müde zum Aufstehen. Und nein, es ist keine Winterdepression. Es ist dieser Lockdown. Ich will nicht mehr morgens aufstehen und nicht wissen, wie ich alle Aufgaben zwischen Arbeit und Kindern und Haus und Hof überhaupt auch nur annähernd erledigen soll.Vielleicht sind meine Ansprüche trotz Krise immer noch zu hoch. Vielleicht sollte es mir nicht so wichtig sein, ob meine siebenjährige Tochter die Matheaufgaben versteht. Schließlich bin ich nicht ihre Lehrerin sondern ihre Mutter. Vielleicht sollte ich mir nicht so viele…

  • Kinder

    Das Kind liest uns die Haare vom Kopf

    Einst hatte ich gehofft, dass unsere Kinder Bücher genauso lieben werden wie ich. Jetzt versuche ich, die Siebenjährige vom Lesen abzuhalten. Klar, es ist Lockdown und nasskaltes Winterwetter, außerdem hat sie wegen eines blockierten Rollerrads wieder ihren Fuß kaputt und humpelt an Krücken, aber dennoch finde ich 220 Seiten pro Tag viel für ein siebenjähriges Kind. Wo soll das noch hinführen? Sind wir dann nächstes Jahr bei „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Zum Glück haben wir eine belesene Nachbarsfamilie, die uns ein Corona-Care-Paket mit Büchern vor die Tür gestellt hat. Aber das ist auch schon wieder halb aufgelesen. Wir haben natürlich auch zu Hause meterweise Kinder- und Jugendbücher,…

  • Gesellschaft

    CD – Ruhe in Frieden!

    Ich habe etwas hoffnungslos anachronistisches getan: ich habe eine CD verschenkt. Eine neu gekaufte CD, die ich nicht bei Amazon bestellt hatte. An eine Freundin, von der ich weiß, dass sie noch einen CD-Player besitzt. Was ja heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Immer häufiger hören Friedolin und ich nach Auftritten – also, haben wir nach Aufritten gehört, damals, als es noch Live-Auftritte vor Publikum gab, die Älteren werden sich erinnern – also immer häufiger hören wir: „Ich würde ja sehr gern eine CD von euch kaufen, aber ich habe keinen CD-Player mehr. Seid ihr auf Spotify?“ Ja, sind wir, kommt man als Künstler ja kaum drum rum. Damit verdienen wir…

  • Kinder

    Die Pofeige

    Die Kinder haben ein neues Lockdown-Spiel entwickelt. Es heißt: Papa beobachten. Dazu verstecken sie sich hinter offen stehenden Türen, unter Tisch, Stuhl oder Treppe und beobachten mit übermenschlicher Geduld das Treiben ihres Vaters. Nur um dann, wenn er sich scheinbar in Sicherheit wiegt, urplötzlich aus ihrem Versteck hervor zu springen und ihm eine „Pofeige“ zu verpassen. Was im Übrigen eine Wortkreation der Siebenjährigen ist und wie ich finde verdient hätte, in den Duden aufgenommen zu werden. Alternativ klauen sie ihm einen Hausschuh und verstecken ihn irgendwo in den Tiefen unseres Hauses. Sie haben so viel Freude bei diesem Spiel, dass immer häufiger der Satz fällt: „Keine Zeit, wir spielen gerade…