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Absage an die Ansprüche

Ganz ehrlich: ich will das nicht mehr. Ich arbeite seit drei Wochen wieder und der Ferien-Energie-Speicher ist komplett aufgebraucht. Ich bin abends zu müde zum Einschlafen. Ich bin morgens zu müde zum Aufstehen. Und nein, es ist keine Winterdepression. Es ist dieser Lockdown. Ich will nicht mehr morgens aufstehen und nicht wissen, wie ich alle Aufgaben zwischen Arbeit und Kindern und Haus und Hof überhaupt auch nur annähernd erledigen soll.
Vielleicht sind meine Ansprüche trotz Krise immer noch zu hoch. Vielleicht sollte es mir nicht so wichtig sein, ob meine siebenjährige Tochter die Matheaufgaben versteht. Schließlich bin ich nicht ihre Lehrerin sondern ihre Mutter. Vielleicht sollte ich mir nicht so viele Gedanken machen, ob mein fünfjähriger Sohn im Lockdown vereinsamt und in diesem vergeudeten Vorschuljahr genug Vorbereitung für die Schule bekommt. Vielleicht sollte ich aufhören, mich dafür verantwortlich zu fühlen, all die Leerstellen im Leben meiner Kindern füllen zu wollen, die Corona dort hineingesprengt hat. Mit noch mehr Ausflügen, noch mehr Basteln, Backen, Singen, Spielen, Kuscheln und Vorlesen. Vielleicht sollte ich sie einfach jeden Tag vor dem Fernseher parken.
Vielleicht sollte ich jeden Tag Tiefkühlpizza oder Nudeln mit Pesto machen, die Kinder mit fleckigen Klamotten und zu kleinen Schuhen rausschicken und Friedolins Großmutter keinen Geburtstagsgruß schicken. Vielleicht sollte ich „Nein“ zu den Bastelanfragen fürs Seniorenheim sagen, die Schmutzränder im Waschbecken ignorieren und die Kaninchen und Hühner sich selbst überlassen.
Aber so bin ich nicht erzogen worden. Ich kann nicht in ein paar Monaten Pandemie ungeschehen machen, was uns Frauen über Jahrhunderte eingeimpft wurde. Dass wir nämlich für all das aber so was von verantwortlich sind und uns schuldig fühlen müssen, wenn wir den eigenen Ansprüchen nicht genügen. Ich arbeite daran, mich davon zu befreien. Ich muss daran arbeiten, denn zur Zeit geht nicht alles reibungslos. Aber auch das Umdenken ist kräftezehrend. Ich kann zumindest versuchen, nicht ständig wütend auf meinen Mann zu sein, der all diese Dinge wunderbar ignorieren kann, weil er als Mann eben nicht so erzogen wurde.
Es gab in den Ferien diesen zugleich wunderbaren und traurigen Moment, wo die Kinder mit mir spielen wollten und ich sofort wieder dieses Gefühl von angespannter Enge bekam, weil ich dachte, eigentlich noch so viel erledigen zu müssen. Und dann fiel mir plötzlich auf: Ich muss gar nichts erledigen. Ich habe frei. Ich muss mich nur um die Kinder und den Haushalt kümmern. Das ist auch nicht wenig, aber durchaus machbar. Und noch während ich mit den Kindern spielte, musste ich mich mehrfach daran erinnern, dass es OK ist. Dass ich wirklich Zeit für sie habe. Und dann war es auf einmal sehr, sehr schön.

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