Kinder

Der durchlässige Clown

Der Fünfjährige entwickelt eine Bühnenpersönlichkeit. Sie changiert irgendwo zwischen Bugs Bunny und Paul Newman.
Als Friedolin sich gestern früh laut trompetend die Nase schnäuzte, bemerkte der Fünfjährige trocken: „Kann mal jemand diesen Elefanten zurück in den Zoo bringen?“
Dabei stand er lässig in den Türrahmen gelehnt, mit einem abgebrochenen Bleistift als Zigarette im Mundwinkel. Ich wüsste gern, wen er sich da zum Vorbild nimmt. Friedolin und mich schonmal nicht. Und Fernsehen guckt er ja eigentlich auch kaum. Seine Posen funktionieren erstaunlich gut, bis zu dem Moment, in dem er sich über sich selbst schlapp lacht und aus dem Zimmer rennt. Wobei manch Fernseh-Comedian auch so einen Abgang hinlegt, nur dass er vorher noch ein „Dankeschön“ ins Publikum schleudert.
Gerade lernt er Schleifen binden, was ihm aber nicht sonderlich viel Spaß macht und für schlechte Stimmung zwischen ihm und seinem Lehrer sorgt. Also schlendert er mit den Händen in den Hosentaschen und einem Schnürsenkel über dem Ohr durch den Hausflur und deklamiert: „Schleife binden, Schleife binden, ich hab so viele Schleifen im Kopf, dass sie mir zu den Ohren wieder rauskommen.“

Er gehört zu diesen Kindern, die jede Stimmung im Raum wie ein Seismograph aufnehmen. Flattert irgendwo eine düstere Laune durch die Gegend, fängt er sie ein und lässt sie bunt bemalt wieder frei. Als Kleinkind hat er noch losgebrüllt, wenn ihm Tischgespräche zu angespannt waren, Diskussionen zu hitzig. Oder er schmierte sich zur Ablenkung Essen ins Gesicht. Manchmal versuchte er auch, sich die schlechte Laune anderer mit Fäusten vom Leib zu halten. Bei zu viel Input am Tag, rissen uns seine Nachtschreck-Schreie aus dem Schlaf.
Jetzt, wo er älter ist, kompensiert er schlechte Stimmung mit Witzen und Clownsnummern. Das ist definitiv gesellschaftsfähiger. Aber emotional nicht weniger anstrengend für ihn. Oft atmet er auf, wenn Besuch wieder fährt, weil er sich erst dann wieder auf sich konzentrieren kann. Ich wünsche ihm, dass er lernt, mehr bei sich zu bleiben und sich abzugrenzen, wenn ihm danach ist. Dafür wäre es vielleicht hilfreich, wenn ich mit gutem Vorbild voran ginge. Ich arbeite daran.

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