Corona-Chronik,  Mamaaa!!!

Klare Sicht

Die Siebenjährige ist bei unseren Nachbarn gegen die Wintergarten-Tür gelaufen. Die Scheibe der Tür war so gut geputzt, dass sie diese nicht als solche erkannt hat.
Unsere Scheiben sehen einfach nie so aus. Selbst wenn ich zweimal im Jahr Fenster putze, patscht der Fünfjährige sofort mit seinen Schmierfingern dagegen, weil er im Garten eine Kröte gesehen hat oder den Eichelhäher oder einfach nur, weil es Spaß macht mit Schmierfingern gegen die Scheibe zu patschen. Dafür ist bei uns auch noch nie ein Vogel gegen die Scheibe geknallt. Ich tue ja alles für den Artenschutz. Vielleicht sollte man mal so schwarze Scheibenaufkleber mit dem Umriss kleiner Mädchen erfinden. Dann läuft unsere Tochter auch nicht mehr gegen die Tür.

Ich lebe ja frei nach dem Motto: Wir können nicht alle gleichzeitig gut aussehen… entweder das Haus, die Kinder oder ich. Wobei ich mich nicht erinnere, wann ich das letzte Mal gut ausgesehen habe. Zur Zeit sehe ich immer aus, als hätte ich gesoffen oder einen schweren Infekt. Also genau wie unser Haus. Überall stapeln sich Berge von Zetteln, Klamotten, Spielzeug und Schuhen. Wenn früher jemand unerwartet klingelte und irritiert in unseren Wohnflur guckte, konnte ich immer sagen: „Äh, wir sind gerade von Tour zurück gekommen und müssen noch zu Ende auspacken.“ Die Ausrede fällt jetzt ja leider weg. Die Zeichen verdichten sich, dass ich einfach keine gute Hausfrau bin. Ich weiß nicht, wie die anderen berufstätigen Frauen das schaffen. Manche haben Eltern vor Ort, die sie unterstützen. Oder ein Kiesbeet hinterm Haus. Oder die Kinder bis nachmittags in der Betreuung. Aber wie viele andere auch stehen wir seit Corona die meiste Zeit allein da und die Kinder um 11.30 Uhr vor der Tür. Wenn sie überhaupt zeitgleich außer Haus sind. Und natürlich frisst dieses ganze Selbstversorgerdings sehr viel Zeit. Aber wir sparen eine Menge Plastik und Emissionen dadurch, dem Klima ist es schließlich piepegal, wie unser Haus aussieht. Ich will überhaupt nicht jammern, bisher sind wir glimpflich durch die Krise gekommen. Nicht, was unsere Arbeit betrifft, aber alle, die wir lieben, sind gesund geblieben. Körperlich. Seelisch nicht. Die Angststörungen nehmen zu, die depressiven Verstimmungen, das Ausgebranntsein und die Verzweiflung, nicht zu wissen, was der Herbst uns bringt. Ob die Kräfte für eine zweite Runde Corona reichen. Ich mache mir Sorgen um die Mütter in meinem Umfeld. Wie es den Vätern geht, weiß ich nicht. Väter fressen ja gern alles in sich hinein und kriegen dann später Herzrythmusstörungen. Zur Zeit haben oft die Mütter die Doppelbelastung mit Homeoffice und Homeschooling und Homeputzing und Homeirgendwas. Vielleicht sollten wir alle uns viel öfter sagen, wie gut wir das bis hierhin gemeistert haben. Wie stolz wir aufeinander sind. Und dass es nicht schlimm ist, wenn die Scheiben mal nicht geputzt oder die Haare mal nicht gewaschen oder die Hausaufgaben der Kinder mal nicht korrekt erledigt sind. Hauptsache, wir bleiben gesund. Körperlich und seelisch.

Eine Antwort schreiben