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Mein Nachbar, der Feuerwehrmann
Die Feuerwehrsirene reißt mich aus dem Schlaf. Ich höre die Kinder in ihren Betten rumoren. Der Morgen dämmert in der Ferne. Wie immer, wenn alle zuhause sind, atme ich kurz auf. In den seltensten Fällen ertönt die Sirene auf dem Dach des Feuerwehrhauses, weil es brennt. Häufig sind es schwere Unfälle auf der Bundesstraße, zu denen unsere Feuerwehr ausrücken muss. Die Bundesstraße ist unsere Verbindung zur Außenwelt, zur Schule, zum Kindergarten, zum Supermarkt, zu unseren Familien in der Stadt. Meistens ist es aber einfach Samstag, 12 Uhr und die Funktionsfähigkeit der Sirene wird getestet. Das mussten wir als Zugezogene erst lernen. Anfangs dachte ich noch: Komisch, dass hier immer am…
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Essen mit Kindern
Unsere Kinder haben seltsame Essensvorlieben. Eines der ersten Wörter unserer Tochter war: „Cornichon“. Das konnte sie noch vor „Papa“ sagen. Man muss ja Prioritäten setzen. Wohingegen es Orange, Kiwi und Mandarine bis heute nicht in ihr Vokabular geschafft haben. Zitrusfrüchte heißen bei ihr einfach: Mag ich nicht. Sie mag keinen Kakao, dafür aber Oliven und strengen Käse. Immerhin konnten wir ihr beibringen, dass auf die Frage:„Möchtest du einen Kakao, meine Kleine?“„Nein, aber zu einem Stück Roquefort würde ich nicht nein sagen“, nicht die adäquate Antwort einer Sechsjährigen ist. Unser Sohn bastelt sich sein Essen gern selbst. Er zermatscht gekochte Kartoffeln und Erbsen in seinen Fäusten zu Bällchen, wendet sie im…
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Die Entdeckung des Schneckentempos
Die Kinder trinken die erste Orangina ihres Lebens. Der Fünfjährige bricht in so lautstarke Rufe des Entzückens aus, dass die Gäste an den Nachbartischen irritiert zu uns schauen. Vielleicht denken sie, dass wir eine jugendfreie Variante der Restaurantszene aus Harry & Sally drehen. Die Siebenjährige schließt genießerisch die Augen. Friedolin hat seinen Kaffee bereits vor 10 Minuten ausgetrunken und trommelt nervös mit den Fingern auf dem Tisch. Die Kinder spielen „Wer-am-langsamsten-Trinken-kann“. Sie stellen nach jedem winzigen Schluck ihre Flaschen vor sich auf den Tisch, richten sie penibel zueinander aus und vergleichen die Pegelstände. Friedolin wippt mit dem Knie. Dann diskutieren die Kinder ihre Pegelstände und heben die Flasche in Zeitlupe…
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Friedolin, mein Friedolin
Friedolin kommt in dieser Kolumne nicht immer gut weg. Könnte man meinen. Er erscheint als hilfloses Fluchtwesen. Sagt man. Friedolin hat sich diesbezüglich noch nicht geäußert. Das könnte daran liegen, dass er die Kolumne nicht liest. Was vielleicht daran liegt, dass er nicht besonders gut weg kommt. Er überfliegt sie höchstens, um ein passendes Foto auszuwählen. Es könnte aber auch daran liegen, dass er selbstbewusst und offen mit seinen Schwächen umgeht. Weil er weiß, dass er noch so viel mehr zu bieten hat. Der Friedolin aus Buchstaben ist natürlich nicht deckungsgleich mit dem Friedolin aus Fleisch und Blut. Der Friedolin in den Texten ist nur eine seiner Facetten, ist der…
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Unser Hochsicherheitstrakt
Die Johannisbeeren sind reif. Also beginnt Friedolin, nervös um die Küche herumzuschleichen. Ich könnte ja spontan auf die Idee kommen, Marmelade einzukochen. Da will er rechtzeitig intervenieren können. Wobei ich bezweifele, dass dieses Jahr viel zum Einkochen übrig bleibt. Unsere marodierenden Kinderhorden lassen kaum etwas übrig. Sollen sie ruhig, ich nasche Himbeeren, Erdbeeren und Zuckererbsen auch am liebsten direkt vom Strauch. Einzig die Johannis – und Jostabeerensträucher hängen noch voll, die sind den Kindern zu sauer. Aber die machen auch die schlimmsten Flecken.Friedolin und ich sind sehr unterschiedlicher Meinung, wie man Marmelade einkochen sollte. Seiner Ansicht nach müsste ich zunächst unsere stets vollgestellte Arbeitsplatte freiräumen, großräumig mit Zeitung oder dünnen…
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Hochzeitstag
Friedolin und ich haben heute Hochzeitstag. Nicht, dass diese Information für irgendjemanden relevant wäre. Wir feiern unseren Hochzeitstag nämlich nicht. Am ersten Hochzeitstag war unsere Tochter gerade geboren, da hatten wir unser Kind im Kopf und nicht uns. Im zweiten Jahr waren wir mit Kind und Campingbus ohne Zeitgefühl in Schweden unterwegs. Ab da haben wir den Tag konsequent vergessen. Vielleicht auch verdrängt. Was daran liegen könnte, dass wir ein ziemlich zwiespältiges Gefühl zu unserer Hochzeit haben. Unsere Gäste sind bis heute der einmütigen Auffassung, dass es ein wunderbar rauschendes Fest war. Zwei Tage voller Liebe und Freundschaft und Natur, voller Spiele, Feiern und Musik.Wir waren einfach nur brettfertig.Was vielleicht…
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Die Göttin und der Holunder
„Guten Tag, Frau Holla“, sagt der Vierjährige und vergräbt seine kleine Nase andächtig in der duftenden Holunderblüte. Dann lauscht er einen Moment auf die unhörbare Antwort. Die Sechsjährige streichelt sanft über die Blüten und schnuppert an ihren zartgelben Fingern. In alten Zeiten war es üblich, sich zur Blütezeit vor dem Hausholunder zu verneigen oder den Hut zu ziehen. Er galt als heiliger Baum, als Hausapotheke der Bauern, spendete Schutz und Nahrung. Die Urgöttin Holla, Hullefrau, Hel – oder wie wir sie heute kennen – Frau Holle hatte ihren Wohnsitz im Hollerbusch. Seine Wurzeln reichten tief in ihr unterirdisches, lichtdurchflutetes Reich. Schwangere Frauen umarmten den Busch, weil sie glaubten, die Göttin…
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Unser Land ist bunt (unser Dorf ist es nicht)
Unser Dorf ist eine Blase. Bei der Einschulung unserer Tochter waren fast alle Kinder blond und blauäugig. Manche Eltern stellen einen Sonderantrag, damit ihr Kind auf so eine Schule gehen darf. Ich verspürte bei diesem Anblick leises Unbehagen. Denn unser Land ist nicht blond und blauäugig. Unser Land ist bunt. Ich möchte, dass unsere Kinder das als selbstverständlich empfinden. Ich möchte nicht, dass sie später Schwarze oder Menschen of Colour fragen, woher sie kommen, weil sie annehmen, dass es nicht Deutschland sein kann, dass sie nicht dazu gehören. Alltagsrassismus ist nicht immer böswillig, manchmal entsteht er aus Unachtsamkeit, aus Dummheit, Unwissenheit, aus Angst vor Benachteiligung. Er verletzt deswegen nicht weniger.…
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Mittsommer
Sommersonnenwende. An diesem Wochenende feiern wir den längsten Tag des Jahres und den Geburtstag des Vierjährigen, der ab heute der Fünfjährige genannt werden möchte. Er ist ein richtiger Mittsommerjunge, mit Sonne im Herzen und einem lichten Gemüt. Gefühlt und astronomisch beginnt jetzt der Sommer: die Früchte reifen, die Blumen blühen, die Natur berauscht uns mit Fülle und Duft und Farbe. Gleichzeitig befinden wir uns auf dem Zenit, ab jetzt bewegt sich die Sonne langsam wieder abwärts in Richtung Dunkelheit. Die Erzählung des Sonnen- oder Vegetationsgottes, der sich auf dem Höhepunkt seiner Kraft für seinen Opfertod vorbereitet, zieht sich durch alle Zeiten: Adonis, Baldur, Dionysos, Osiris und im Christentum die Enthauptung…
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Strandgut und Meermüll
Die Kinder haben jeder einen Hund. Böse Zungen behaupten zwar, dass sie lediglich zwei vergammelte Arbeitshandschuhe mit Geschenkband hinter sich herziehen. Aber die haben keine Ahnung. Die Hunde heißen Weggi und Weggä. Der Vierjährige ist gut darin Namen zu erfinden, die sich kein Mensch merken kann. Sie sind uns im letzten Dänemark-Urlaub zugelaufen. Wir waren auf unserem täglichen Müll-Sammel-Rundgang im Wattenmeer, als ich den Arbeitshandschuh fand, kurzerhand mit Plastikmüll ausstopfte, mit Geschenkband zuknotete und dem Vierjährigen in die Hand drückte. Eigentlich sollte er mir nur tragen helfen. Ich war schon beladen mit einem Geisternetz und zerrissenen Tüten voller Plastikflaschen, Batterien, Einwegrasierer und Luftballons. Der Vierjährige zog den Handschuh hinter sich…