Gesellschaft

Unser Land ist bunt (unser Dorf ist es nicht)

Unser Dorf ist eine Blase. Bei der Einschulung unserer Tochter waren fast alle Kinder blond und blauäugig. Manche Eltern stellen einen Sonderantrag, damit ihr Kind auf so eine Schule gehen darf. Ich verspürte bei diesem Anblick leises Unbehagen. Denn unser Land ist nicht blond und blauäugig. Unser Land ist bunt. Ich möchte, dass unsere Kinder das als selbstverständlich empfinden.

Ich möchte nicht, dass sie später Schwarze oder Menschen of Colour fragen, woher sie kommen, weil sie annehmen, dass es nicht Deutschland sein kann, dass sie nicht dazu gehören. Alltagsrassismus ist nicht immer böswillig, manchmal entsteht er aus Unachtsamkeit, aus Dummheit, Unwissenheit, aus Angst vor Benachteiligung. Er verletzt deswegen nicht weniger. Dagegen hilft Aufklärung, Begegnung, Herzensbildung, das stetige Hinterfragen der eigenen Vorurteile. Das beginnt schon bei den Kaufentscheidungen.
Wir lernen doch bereits in der Schule, dass die Kaffee- und Bananenbauern Hungerlöhne erhalten, wir sehen in unzähligen Fernsehberichten das Leid der Textilarbeiter in Bangladesch, der kurdischen Kinder auf den türkischen Haselnussplantagen, also müssen wir uns immer wieder fragen, warum kaufen wir diese Produkte dennoch? Würden wir sie kaufen, wenn das Leid blonden, blauäugigen Menschen zugefügt würde? Würden wir es hinnehmen, wenn weiße Kinder im Mittelmeer ertrinken? Stehen wir in der U-Bahn nur auf, wenn eine weiße Frau belästigt wird oder auch, wenn eine Frau mit schwarzer Haut oder mit Kopftuch schikaniert wird?
Wir sind als Mitteleuropäer Teil einer latent rassistischen, antisemitischen Kultur. Wir haben noch immer unser kolonialistisches, nationalsozialistisches Erbe aufzuarbeiten. Es ist an uns, für eine friedliche Gesellschaft zu kämpfen, in der alle die gleichen Chancen haben, die gleiche Sicherheit, den gleichen Respekt. Vor allem wenn wir selbst in einer privilegierten Blase leben.

Dem anderen Rassismus, dem böswilligen, gewaltbereiten, beängstigenden bin ich in meinem bisherigen Leben nur vom Hörensagen her begegnet, über schwarze oder jüdische Freunde.
Bis wir unser Video „Alte weiße Männer“ auf youtube gestellt haben. Wir hatten den Song im Zuge der Me-Too Debatte und Donald Trumps Kandidatur geschrieben. Und waren entsetzt über die menschenverachtenden, hasserfüllten, vor Gewaltandrohung strotzenden Kommentare aus der rechten Szene. Plötzlich war der rechte deutsche Terror nicht mehr etwas, über das wir in der Zeitung lasen, er war greifbar. Die Kommentare richten sich gegen Schwarze, gegen Juden, gegen Frauen, gegen Geflüchtete. Die brutalsten Kommentare haben wir youtube gemeldet, sie wurden entfernt, die User nicht. Sie kommentieren weiter, bei uns, bei anderen, ich kann nur hoffen, dass die meisten von ihnen nur online hetzen und ihren Worten nicht im wirklichen Leben Taten folgen lassen. Es ist nur ein kleiner von vielen Beweisen, wie überfällig die schwarzen Proteste nach dem Mord an George Floyd auch hier in Deutschland waren. Die Proteste sollten nicht schwarz bleiben. Wir alle müssen aufstehen. Und sei es nur, dass wir unsere Kinder nicht in einer Blase erziehen, sondern als unvoreingenommene, weltoffene Menschen, mit wachem Verstand und Courage im Herzen.

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