• Kinder

    Du Pastinakenvogel!

    „Du dumme, dumme Kuh“, brüllt der Vierjährige aus der Küchentür und wirft sie mit Karacho ins Schloss. Wir wollen die Schimpfwörter loswerden und schicken sie in den Garten. Seit die Elfjährige im Haus ist, nehmen die Beschimpfungen überhand. Im Garten sind sie besser aufgehoben. Den Hühnern und dem Molch ist es schließlich egal, wenn ihnen „Stinkfurz“ (der Vierjährige) oder „du kleiner Pisser“ (die Elfjährige) um die Ohren fliegen. Nur die Siebenjährige hält sich vornehm zurück. Sie hat es nicht so mit Schimpfwörtern. Ihr Wortschatz ist immens, aber mit Kraftausdrücken ist sie seltsam hilflos. Einmal standen wir mit den Kindern am Seeufer und probierten das Echo aus. Ihr etwas älterer Freund…

  • Kinder

    Das vergessene Kind

    Ich habe dem Fünfjährigen das Herz gebrochen. Zwar nur für ein paar Minuten, aber das war schlimm genug für uns beide. Gestern Mittag kam der Kindergartenbus zu früh. Er kommt mittags nie zu früh, eher zu spät, daher war ich noch nicht da. Also saß der Fünfjährige mit hängenden Schultern und zusammengepressten Lippen auf der kleinen Mauer, während der Fahrer mit laufendem Motor im Bus mit ihm wartete. Kinder haben noch kein Zeitgefühl, fünf hungrige Minuten allein in der Kälte können sich anfühlen wie ein ganzer Tag. Als er mich um die Ecke kommen sah, rannte er sofort auf mich zu und warf sich schluchzend in meine Arme.„Hast du gedacht,…

  • Mamaaa!!!

    Die Vorleserin

    Ich bin heiser. Die Kinder haben sich gestern beim Vorlesen so vor Lachen gekringelt, da ist es mit mir durchgegangen. „Der kleine Junge sagte in den Hörer: Hallo ist da die Eisenwarenhandlung? Ich suche etwas, das eine Sprengladung Schnee auf ein kleines weibliches Ziel befördern kann. Können sie mir etwas empfehlen? Hallo? HALLO?“Jetzt habe ich überall blaue Flecke. Kuscheliges Vorlesen mit vor Heiterkeit explodierenden Kindern geht selten ohne Blessuren der Mutter vonstatten. Der Fünfjährige sprang vor Freude auf und rammte mir dabei seinen Kopf unters Kinn, die Siebenjährige unterstrich ihre Lachanfälle mit spitzen Ellbogenstößen in meinen Busen. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Eltern nicht gern vorlesen.Laut der kürzlich…

  • Kinder,  unser Garten

    Das Wunderhuhn

    Wir verlangen ab jetzt Eintritt für unseren Garten. Weil die Kinder wegen Corona gerade sonst keine Hobbys haben, proben sie für eine Greifvogelschau. Der ortsansässige Turmfalke ist zwar unwillig, aber wozu haben wir denn Hühner. Solange ausreichend Spaghetti im Spiel sind, halten sowohl Kinder als auch Hühner endlose Proben durch. Die Siebenjährige ruft in bester Marktschreiermanier:„Seht her das Wunderhuhn!“Dann klettert das Hühnchen auf ihr ausgestrecktes Handgelenk und lauscht dort stolz thronend einem Vortrag über Bisstöter und Grifftöter.„Der Falke erlegt seine Beute durch einen Nackenbiss.“Am Ende erbeutet es unter tosendem Applaus eine Nudel im Sturzflug.Die nächste Attraktion ist unsere Kampfhenne Helene, die sich spektakuläre Zweikämpfe mit riesigen Mutanten-Ratten liefert, die seit…

  • Kinder

    Kunstkritik am Kind

    Der Fünfjährige macht jetzt in Bildende Kunst. Seine derzeitige Schaffensperiode heißt: Vor der zweiten Welle. Es ist viel Tesafilm involviert. Connoisseure performativer Gegenwartskunst konnten kürzlich Zeuge werden, wie in einem scheinbar zerstörerischen Akt eine langstielige Sukkulente in ihre Einzelteile zerlegt und mit einem Küchenmesser ihrer schützenden Außenhaut beraubt wurde. Dabei ging der Künstler ironisch auf das geltende Abstandsgebot ein, indem er als Teil der Performance Pflanzenteile in einem Umkreis von exakt anderthalb Metern von sich schleuderte. Anschließend applizierte er das organische Material mit Tesafilm auf einem DIN-A4 Blatt. In der Transformation von Natur zu Kultur wurde das Spannungsfeld zwischen Chaos und Norm erfahrbar. Der Tesafilm, als Inbegriff der Wegwerfgesellschaft, beraubt…

  • Mamaaa!!!

    Putzmann für einen Tag

    „Mama, Mama, bei unseren Nachbarn kann man sich im Boden spiegeln!“ Die Siebenjährige ist völlig außer sich. „Und alles ist total aufgeräumt, das musst du dir mal ansehen.“ Nix muss ich. Unser Fußboden ist Teil meiner ausgeklügelten Einbruchsicherung. Wenn Einbrecher ins Haus kommen, bleiben sie einfach kleben und wir können in aller Ruhe die Polizei rufen. Aber ich möchte natürlich, dass die Kinder glücklich sind.„Gut“, sage ich. „Dann höre ich jetzt auf, Euch ein Buch vorzulesen und wische das Erdgeschoss.“„So habe ich das auch nicht gemeint.“ Die Ordnung fasziniert sie zwar. Aber sie ist alt genug, um zu würdigen, dass ich als berufstätige Mutter meine freie Zeit lieber mit meinen…

  • Nachhaltigkeit

    Die Freiheit und die Tiere

    Mein Backenzahn ist durchgebrochen. Als ich auf ein Stück Toast gebissen habe. Anscheinend haben sogar meine Zähne Ermüdungserscheinungen. Vielleicht war es auch ein Zahnmaterialfehler. Stellt sich die Frage, bei wem ich den reklamieren kann. Vermutlich am ehesten beim lieben Gott. Aber bei dem hänge ich seit Corona in der Warteschleife.Die Siebenjährige hat sich sofort das abgebrochene Stück Zahn geschnappt.„Das lege ich unter mein Kopfkissen. Vielleicht fällt die Zahnfee ja drauf rein.“Im Auto auf dem Weg zum Zahnarzt höre ich sehr laute Musik, die weder ein rotes Pferd noch den Wunsch einen Schneemann zu bauen beinhaltet und denke: „Ach schön, kommste mal raus.“ Ein seltsames Gefühl von Freiheit stellt sich ein.…

  • unser Dorf

    Radfahrer unerwünscht

    Der Dorfbewohner geht eher 9 km besoffen zu Fuß, als dass er Fahrrad fährt. Sagen zumindest die Dorfbewohner. Nüchtern fährt er natürlich mit dem Auto. Wobei nüchtern ein denkbar dehnbarer Begriff ist. Zufußgehen und Fahrradfahren sind hier keine Fortbewegungsmittel sondern Hobbys, die niemand ins Freundebuch schreibt. Was das angeht, sind Friedolin und ich noch immer Großstädter. In der Stadt hatten wir jahrelang gar kein Auto. Wozu auch, wenn man für die Parkplatzsuche länger braucht, als für die eigentliche Fahrt. Als wir aufs Dorf zogen, haben wir uns geschworen, weiterhin alles mit dem Fahrrad zu machen. Bis ich das erste Mal mit unserer Tochter im Hänger zu unserem 4 km entfernten…

  • mit Kindern auf Tour

    Tempelhofer Regen

    Wir stehen mitten auf dem Tempelhofer Feld und ärgern uns, dass wir keine Badesachen eingepackt haben. Ein gewaltiger Wolkenbruch geht über uns nieder, unsere sogenannten Regenjacken sind in kürzester Zeit durchweicht und weit und breit gibt es nichts zum Unterstellen. Nur die Weite des ehemaligen Flughafens, von der in den rauschenden Wassermassen aber nichts zu erkennen ist. Zum Glück sind unsere Kinder hart im Nehmen. Der Fünfjährige zieht seine Schirmmütze tief in die Stirn und den Kopf ein und schiebt seinen Roller stumm durch den kalten Regen. Die Siebenjährige macht sich einen Spaß draus, mit ihren Inlinern alle paar Meter in eine Pfütze zu fallen. Eigentlich wollten wir entspannt mit…

  • Backstage

    Das Fernsehstudio im Wohnzimmer

    Wir sind voll das Corona-Klischee. Überforderte Homeoffice-Eltern kombiniert mit miesem Internet. Ich möchte auf den Arm. Aber bei Friedolin geht das gerade nicht. Der möchte auch auf den Arm. Abgesehen davon hat er mich noch nie auf den Arm genommen. Für meine brünhildemäßigen 1,78 Meter reichen selbst Friedolins Bärenkräfte nicht. Wobei ich der Überzeugung bin, dass es mit mangelnder Hingabe zu tun hat. Er ist nämlich durchaus in der Lage den massiven Hühnerstall allein durch den Garten zu tragen. Oder tote Eichen im Wald umzuschubsen. Aber wenn es darum geht, unsere Kleinkinder bei langen Wanderungen auf dem Rücken zu tragen, schwächelt er nach kürzester Zeit. Dann schleppe ich sie kilometerweit,…