Backstage

Das Fernsehstudio im Wohnzimmer

Wir sind voll das Corona-Klischee. Überforderte Homeoffice-Eltern kombiniert mit miesem Internet. Ich möchte auf den Arm. Aber bei Friedolin geht das gerade nicht. Der möchte auch auf den Arm. Abgesehen davon hat er mich noch nie auf den Arm genommen. Für meine brünhildemäßigen 1,78 Meter reichen selbst Friedolins Bärenkräfte nicht. Wobei ich der Überzeugung bin, dass es mit mangelnder Hingabe zu tun hat. Er ist nämlich durchaus in der Lage den massiven Hühnerstall allein durch den Garten zu tragen. Oder tote Eichen im Wald umzuschubsen. Aber wenn es darum geht, unsere Kleinkinder bei langen Wanderungen auf dem Rücken zu tragen, schwächelt er nach kürzester Zeit. Dann schleppe ich sie kilometerweit, trotz durchhängendem Beckenboden. Also, falls sich irgendwer angesprochen fühlt: ICH. MÖCHTE. AUF. DEN. ARM. Dienstag in einer Woche sind wir im ZDF in der ANSTALT. Natürlich nicht in echt, weil es ist ja Corona und wir dürfen nicht nach München ins Studio. Wir filmen unsere Nummer von zuhause selbst und schicken sie zum ZDF. Das machen wir mal so nebenbei zwischen Homeschooling, Hausputz und Raubtierfütterung. Vorher müssen wir die Texte natürlich noch tagesaktuell zum tagesaktuellen Thema der Sendung schreiben. Was bei Friedolin und mir schon unter idealen Arbeitsbedingungen zu einem ausgewachsenen Rosenkrieg führt. Wir streiten bis aufs Blut um jede Formulierung, um jede Pointe. Geht natürlich gerade nicht, die Kinder haben es ja schon schwer genug mit uns. Also falls ihr Die Anstalt seht und unsere Nummer irgendwie blutleer findet, wisst ihr jetzt, woran es liegt. Heute war die technische Probe für die Sendung: ob die Internetleitungen und Computer der Künstler qualitativ gut genug für eine Live-Schaltung zum ZDF sind. Unser Internet ist jedoch ähnlich stabil wie der Nahe Osten. Daher musste Friedolin mit seinem Laptop zu unseren Nachbarn, unsere Leitung reicht nicht für zwei. Als die Leitung zum ZDF endlich stand und ich mitten in der Konferenz mit den Fernsehtechnikern und Kollegen war, hörte ich die Sechsjährige im Garten brüllen: „Mama, er hat meine Sandalen in den Teich geworfen!“. Ich lächelte leicht schmallippig mein Ebenbild auf dem Computerbildschirm an und dachte: Haarewaschen wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Kurze Zeit später brüllte unsere Tochter: „Mama, jetzt hat er mich in den Teich geschubst.“ Ich atmete tief durch: warum hatte ICH mich eigentlich nicht zu den Nachbarn abgesetzt? Dann stand sie tropfnass vor mir im Flur, während der Techniker mich irgendwas zu Upload-Raten und Lichtverhältnissen fragte. Ich beugte mich außer Sichtweite der Webcam, machte Hals-Abschneid-Gesten und gebärdete: Handtuch holen und was Trockenes anziehen, verdammte Axt. Kurze Zeit später rannte das Kind nackt durchs Bild. Zum Glück hatte sich in diesem Moment das Internet zum dritten Mal aufgehängt. Sobald die Grenzen auf sind, setzte ich mich nach Dänemark ab.

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