• Mamaaa!!!

    HI-RN 1000

    In meinem Kopf herrscht ständig Ausnahmezustand. Gedanken, Ideen, To-Do-Listen, Gesprächsfetzen und Retrospektiven jagen sich pausenlos in irrem Tempo durch sämtliche Synapsen, verfolgt von einem überambitionierten Alleinunterhalter, der mit Songtexten, Werbeslogans, und Gedichten jongliert. Das mag vielleicht unterhaltsam sein, wenn man zufällig Oscar Wilde oder Heinz Erhard ist und in der Badewanne über die eigenen Bonmots lachen kann. In meinem Fall finde ich es eher lästig.Ich vergesse nie etwas. Ich erinnere mich zur Freude unserer Kinder an jedes Lied und jedes Gedicht meines Lebens. Ich erinnere mich daran, dass eierlegende Zahnkarpfen ihren Nachwuchs in Elefantenfußstapfenpfützen groß ziehen und Fischotter einen Lieblingskieselstein haben, den sie in einer Hautfalte unter ihrem Arm aufbewahren.…

  • Kinder

    Delikatessen

    „Mama, was sind Delikatessen?“Ich schaue vom Computer auf und versuche, meinen Focus auf die Frage der Siebenjährigen scharf zu stellen. Da mein inneres Wörterbuch aber gerade mit der Recherche von Lichtverschmutzung und deren Folgen für die heimische Fauna beschäftigt ist, nuschele ich nur:„Delikatessen sind Nahrungsmittel, die es bei uns nicht gibt“, und hoffe, dass das Thema damit beendet ist. Aber natürlich lässt sich mein investigatives Kind nicht abspeisen.„Was denn zum Beispiel?“Ich seufze und krame in meinem Gedächtnis nach Delikatessen, die mein Kind verstehen kann. Aber mir fallen auf die Schnelle nur 80-Jahre-James-Bond-Speisen ein, von denen sie entsetzt wäre. Hummer. Austern. Kaviar. Stopfleber. Bison Rohschinken. Und zerstückelte Hausmeister. Also rette ich…

  • Corona-Chronik

    Allein zu Haus

    Das Haus ist seltsam still. Zum ersten Mal seit dem 15. Dezember sind beide Kinder zeitgleich in Betreuung. Ich lausche auf Stimmen, die nicht da sind. Kein Lachen, kein Trampeln, kein wutentbrannter Aufschrei, kein Jaulen und Knuffen, kein „Mama, komm mal ganz schnell!“, kein „Ich verstehe die Aufgabe nicht“, kein „Ich habe Hunger“, kein „Ich bin fertig“, kein Kind, das unvermittelt zwischen Schreibtisch und Computer auftaucht, um sich 10 Minuten auf meinem Schoß vor der Welt zu verstecken. Ich fühle mich befreit und verloren zugleich. Vier Stunden kinderfrei… ich weiß gar nicht mehr, wie das geht. Auf dem Weg in Richtung Kaffee schaue ich misstrauisch unter den großen Schrank in…

  • Gesellschaft

    Zum 08. März

    Heute werde ich wieder einmal daran erinnert, dass ich eine Frau und damit benachteiligt bin. Lasst die Korken knallen! Und dann wieder artig zurück zur Tagesordnung. Ich mag den Weltfrauentag nicht. Ja, Frauen in Deutschland sind stärker von Altersarmut betroffen, werden häufiger Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt und bekommen schlechteres Gehalt für gleiche Leistung. Ganz zu schweigen von dem Leid, das Frauen in anderen Gesellschaften erleiden müssen. Warum wir dafür einmal im Jahr eine Rose und einen Themenabend in der ARD bekommen, erschließt sich mir nicht. Das alles ist ja 365 Tage im Jahr Scheiße und sollte dementsprechend 365 Tage im Jahr verhandelt werden. Und damit Themenabende und Gedenktage…

  • Backstage

    Abgeschminkt

    Die Kinder hassen es, wenn ich mich schminke.„Du siehst dann immer so komisch aus“, sagt die Siebenjährige.„Ja, gar nicht mehr so wie du“, ergänzt der Fünfjährige und schaut dabei drein, als hätte ich sein Lieblingskuscheltier in der 90 Grad-Wäsche geschrumpft.Daran kann man mal sehen, wie sehr Selbstwahrnehmung und Außenwirkung auseinander driften. Ich finde nämlich, dass ich mit zunehmenden Alter nur noch geschminkt aussehe wie ich. Vor allem nach zu kurzen Nächten im Winter. Dann sehe ich aus, ich wiederhole ich mich an dieser Stelle, als hätte ich gerade Zwiebeln geschnitten, einen allergischen Schock erlitten und einen Knödel auf dem Kopf. Aber da ich seit Corona grundsätzlich ungeschminkt durch die Tage…

  • unser Garten

    Trauma des Jätens

    Heute habe ich mal zur Abwechslung niemanden getötet. Das passiert mir beim Unkraut-Jäten sonst leider ständig. Ich trage ein mittelschweres Jät-Trauma mit mir rum, seit ich mit dem Unkrautstecher eine Erdkröte erwischt habe. Eigentlich wollte ich mit Elan den Immergrün-Wurzeln den Garaus machen, stattdessen ertönte ein zischendes Geräusch wie aus einer kaputten Luftmatratze und ich grub eine Erdkröte aus. Ich hatte ihre Lunge durchbohrt. Nachdem ich zutiefst geschockt ein paar Tränen vergossen hatte, grub ich die nun tote Amphibie auf unserem Kleintier-Friedhof zwischen der Baby-Maus und dem Amsel-Küken wieder ein und die Kinder dekorierten andächtig das Kröten-Grab. Ein andermal hatte ich ebenfalls schwungvoll Giersch entfernt und dabei ein Rotkehlchen-Nest frei…

  • Corona-Chronik

    Übergang im Stillstand

    Eigentlich hätte er der Große sein sollen und jetzt ist er doch wieder nur der Kleine.Im Kindergarten wäre der Fünfjährige zur Zeit ein Vorschulkind, einer von den Großen mit besonderen Rechten und Pflichten. Er wäre ein Vorbild für die Kleineren, dürfte allein zum Spielen auf das Außengelände und an besonderen Ausflügen für die „Schulis“ teilnehmen: in die Stadtbibliothek, zu Schnuppertagen in die Grundschule, ins Kindertheater. Das alles findet wegen Corona nicht statt.Dieses Jahr wäre für den Fünfjährigen ein wichtiges Jahr gewesen. Ein Jahr des Übergangs vom Kindergartenkind zum Schulkind. Statt dessen ist er seit dem 16. Dezember zu Hause. Im Schatten von zwei Erwachsenen und einer großen Schwester.Zu Hause ist…

  • Kinder

    Abseits des Weges

    „Geschichten ohne Handy sind irgendwie spannender“, sagt die Siebenjährige und blickt von ihrem Fünf-Freunde-Buch auf.„Wie meinst du das?“, frage ich.„Die sitzen gerade im Sturm auf einer Insel fest“, erklärt sie. „Wenn sie ein Handy gehabt hätten, hätten sie ja zuhause anrufen können, damit die Küstenwache sie abholt. Aber dann hätten sie die ganzen Abenteuer nicht erlebt.“Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber natürlich hat mein cleveres Kind absolut Recht. Was wäre passiert, wenn Robinson Crusoe ein GPS-fähiges Smartphone gehabt hätte? Oder Hänsel und Gretel? Die Liste ließe sich natürlich endlos fortsetzen.„Wie ist das denn in den neueren Büchern?“, frage ich sie.„Da sagen die dann immer, dass sie ihr Handy…