• Kinder

    Der durchlässige Clown

    Der Fünfjährige entwickelt eine Bühnenpersönlichkeit. Sie changiert irgendwo zwischen Bugs Bunny und Paul Newman.Als Friedolin sich gestern früh laut trompetend die Nase schnäuzte, bemerkte der Fünfjährige trocken: „Kann mal jemand diesen Elefanten zurück in den Zoo bringen?“Dabei stand er lässig in den Türrahmen gelehnt, mit einem abgebrochenen Bleistift als Zigarette im Mundwinkel. Ich wüsste gern, wen er sich da zum Vorbild nimmt. Friedolin und mich schonmal nicht. Und Fernsehen guckt er ja eigentlich auch kaum. Seine Posen funktionieren erstaunlich gut, bis zu dem Moment, in dem er sich über sich selbst schlapp lacht und aus dem Zimmer rennt. Wobei manch Fernseh-Comedian auch so einen Abgang hinlegt, nur dass er vorher…

  • Kinder

    Das Kind liest uns die Haare vom Kopf

    Einst hatte ich gehofft, dass unsere Kinder Bücher genauso lieben werden wie ich. Jetzt versuche ich, die Siebenjährige vom Lesen abzuhalten. Klar, es ist Lockdown und nasskaltes Winterwetter, außerdem hat sie wegen eines blockierten Rollerrads wieder ihren Fuß kaputt und humpelt an Krücken, aber dennoch finde ich 220 Seiten pro Tag viel für ein siebenjähriges Kind. Wo soll das noch hinführen? Sind wir dann nächstes Jahr bei „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Zum Glück haben wir eine belesene Nachbarsfamilie, die uns ein Corona-Care-Paket mit Büchern vor die Tür gestellt hat. Aber das ist auch schon wieder halb aufgelesen. Wir haben natürlich auch zu Hause meterweise Kinder- und Jugendbücher,…

  • Kinder

    Die Pofeige

    Die Kinder haben ein neues Lockdown-Spiel entwickelt. Es heißt: Papa beobachten. Dazu verstecken sie sich hinter offen stehenden Türen, unter Tisch, Stuhl oder Treppe und beobachten mit übermenschlicher Geduld das Treiben ihres Vaters. Nur um dann, wenn er sich scheinbar in Sicherheit wiegt, urplötzlich aus ihrem Versteck hervor zu springen und ihm eine „Pofeige“ zu verpassen. Was im Übrigen eine Wortkreation der Siebenjährigen ist und wie ich finde verdient hätte, in den Duden aufgenommen zu werden. Alternativ klauen sie ihm einen Hausschuh und verstecken ihn irgendwo in den Tiefen unseres Hauses. Sie haben so viel Freude bei diesem Spiel, dass immer häufiger der Satz fällt: „Keine Zeit, wir spielen gerade…

  • Kinder

    Die magische Standleitung

    Wir haben jetzt eine Wahrsagerin im Haus. Sie ist zwar erst Sieben, hat dank ihrer magischen Kristallkugel aber eine Standleitung zur tiefen Weisheit des Universums. Behauptet sie zumindest. Hoffentlich ist die Leitung aus Glasfaser, alles andere funktioniert hier auf dem Dorf nämlich nur bedingt.Die Siebenjährige hatte bei unserem täglichen Rundgang durch das Dorf hinter dem Altglascontainer eine 70er-Jahre-Lampenkugel aus Strukturglas entdeckt und sich direkt verliebt. Also brachen wir unseren Spaziergang ab und trugen den kostbaren Fund nach Hause. Ich glaube ja, dieses Finden und Wertschätzen von Straßenrand-Treibgut liegt in den Genen direkt neben der Haarfarbe, die Siebenjährige ist dabei ebenso findig wie ihr Vater und Großvater. Zuhause baute sie die…

  • Kinder

    Zettelwirtschaft

    Die Siebenjährige muss einen Wunschzettel als Deutschhausaufgabe schreiben.„Liebes Christkind, ich wünsche mir zu Weihnachten 1. kein Corona 2. Schnee.“Als sie bei Punkt 10 angekommen ist, sage ich:„Ist doch praktisch. Dann kannst du den hinterher direkt an das Christkind schicken.“Sie schaut mich schockiert an. „Nein, Mama. Über eine Hausaufgabe würde sich das Christkind bestimmt nicht freuen. Für das Christkind muss ich einen ganz besonderen Wunschzettel schreiben.“Die Siebenjährige liebt es, Zettel zu schreiben. Wunschzettel, Einkaufszettel, Beschwerde-Zettel, Sehnsuchts-Zettel, Zettel-Weisheiten. Gestern lag ein in Schönschrift geschriebener Zettel auf meinem Schreibtisch:„Jeder Gegenstand ist wie ein Wesen, wenn man ihn richtig betrachtet.“Darunter zwei Herzen mit einem Regenbogen verbunden.„Wo hast du denn den Spruch her?“, frage ich…

  • Kinder

    Ritual am Abend

    Die Kinder wollen nicht mehr allein einschlafen. Früher bestand unser Abendritual aus einer Geschichte-einem Lied-einem Kuss und dann ging ich aus ihrem Zimmer. Ich ließ die Tür noch einen Spalt offen und tippte extra laut auf meinem Laptop nebenan, bis sie endgültig eingeschlafen waren. Oft hörte ich sie streiten, weil der Fünfjährige auf seinem Hochbett beim Einschlafen gern Plopp-Schnalz-Pfeiff-und-Pups-Geräusche macht, um die Spannung des Tages abzubauen, die Siebenjährige im unteren Bett aber bei Plopp-Schnalz-Pfeiff-und-Pups-Geräuschen nicht einschlafen kann. Dann musste ich wieder rein und klarstellen, dass die Siebenjährige auch durchaus in ihrem eigenen Zimmer schlafen könne, das zur Zeit nur als Gästezimmer genutzt wird, weil sie dort ja ihre Ruhe vor…

  • Gesellschaft,  Kinder

    Gib den Äffchen Zucker!

    Wahrscheinlich werden unsere Kinder nicht alt. Bei ihrem Zuckerkonsum werden sie schon als Teenager Diabetes und eine Fettleber kriegen. Eigentlich können wir ihr Ausbildungskonto auch gleich auf den Kopf kloppen.Als am Weltdiabetestag die Medien voll von apokalyptischen Warnungen vor zu viel Zuckerkonsum bei Kindern waren, ist mir direkt der Keks aus der Hand gefallen. Jedes siebte Kind ist übergewichtig, schon Teenager tragen Wohlstandsbäuche mit sich herum und leiden am metabolischen Syndrom, was früher nur mit alten Menschen in Verbindung gebracht wurde. Dabei waren Friedolin und ich mit so guten Vorsätzen gestartet.In den ersten Lebensjahren der Siebenjährigen gab es bei uns ungesüßten Haferflockenbrei zum Frühstück, Leitungswasser zum Trinken, ungesüßten Naturjoghurt und…

  • Kinder

    Die Mamapizza

    Ich habe meine endgültige Bestimmung gefunden: ich bin eine Pizza. Ich hatte gestern nachmittag einen toten Punkt. Er war nicht nur tot, er war schon am Verwesen. Also kippte ich kopfüber auf die Matratze im Tobeflur und rührte mich nicht mehr. Aber wie immer, wenn Mütter verwesende Punkte haben, waren die Kinder absolut unleidlich. Der Fünfjährige hockte sich auf meinen Rücken und quengelte ununterbrochen in mein Ohr: „Mama, holst du meinen Pferdestall vom Dachboden und spielst mit mir?“ Ich stellte mich tot, aber das interessierte ihn nicht weiter. „Mama, Mama, Mama, Mama.“ Also nuschelte ich in die Matratze:„Ich weiß nicht, wo der Stall ist, frag Papa, der hat den hoch…

  • Kinder

    Mörderballaden

    Unsere Kinder haben einen morbiden Musikgeschmack. Sie lieben Mörderballaden wie die Moritat von Mackie Messer oder die Ballade von der Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper. Wenn Jenny ihren Piraten befiehlt, alle Gefangenen zu töten, singen sie fröhlich mit: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich: Hoppla!“ Sie hüpfen aufgeregt kichernd im Kreis und gruseln sich. Ihr aktuelles Lieblingslied ist Bidla Bu von Georg Kreisler, in dem ein Mann seine Geliebten der Reihe um die Ecke bringt, damit die Liebe nicht verblasst. Natürlich ist es wichtig, bei solchen Liedern die Kinder liebevoll zu begleiten. „Mama, was ist Strychnin?“„Ein wirksames Gift, das einen sofort tötet.“„Aha.“ „Und wozu braucht man Petroleum?“„Damit zündet er…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Unser Reichtum

    „Kinder, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch“, sagte ich gestern beim Abendessen. Ich hatte einen riesigen Topf Nudeln gekocht, wir brauchten alle etwas Nervennahrung. Zwei kleine Gabeln blieben erwartungsvoll in der Luft hängen, vier blitzblaue Augen schauten mich an.„Die gute Nachricht ist: Papa und ich gehen den ganzen November nicht auf Tour und haben viel Zeit für euch“, sagte ich. Mäßiger Jubel am Tisch. Ich hatte mir fest vorgenommen, die Kinder nichts von unseren Sorgen über diesen erneuten Lockdown spüren zu lassen. Meine Eröffnung fand ich schonmal ziemlich gelungen.„Und was ist die schlechte Nachricht?“, fragt die Siebenjährige.„Sag: Ihr müsst eure sündhaft teuren Steiff-Tiere zurück geben, weil…