Mörderballaden
Unsere Kinder haben einen morbiden Musikgeschmack. Sie lieben Mörderballaden wie die Moritat von Mackie Messer oder die Ballade von der Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper. Wenn Jenny ihren Piraten befiehlt, alle Gefangenen zu töten, singen sie fröhlich mit: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich: Hoppla!“ Sie hüpfen aufgeregt kichernd im Kreis und gruseln sich. Ihr aktuelles Lieblingslied ist Bidla Bu von Georg Kreisler, in dem ein Mann seine Geliebten der Reihe um die Ecke bringt, damit die Liebe nicht verblasst. Natürlich ist es wichtig, bei solchen Liedern die Kinder liebevoll zu begleiten.
„Mama, was ist Strychnin?“
„Ein wirksames Gift, das einen sofort tötet.“
„Aha.“
„Und wozu braucht man Petroleum?“
„Damit zündet er seine Geliebte an.“
„Verstehe.“
Ich mache mir keine Sorgen, dass sie deswegen zu mordlustigen Psychopathen heranwachsen. Ebenso wie ich nicht glaube, dass sie ältere Damen mit Warzen auf der Nase in Öfen schubsen oder den Wölfen im Tierpark nach der Fütterung den Bauch aufschneiden. Kinder lieben Angstlust ebenso wie Erwachsene. Was für uns Game of Thrones, sind für unsere Kinder Lieder von Kurt Weill oder Kreisler. Sie genießen den schaurigen Nervenkitzel aus der Sicherheit des heimischen Wohnzimmers. Sie lernen, mit Tabubrüchen umzugehen und sich davon zu distanzieren.
Find ich ehrlich gesagt weniger jugendgefährdend als der ganze Technoschlager, der schon im Kindergartenbus gespielt wird: „Hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und Indianer. Hast du mich umzingelt, werd‘ ich mich ergeben. Stell mich an den Marterpfahl…“, also mal ehrlich.
Gestern waren allerdings die Nachbarskinder zu Besuch und die Siebenjährige legte, bevor ich intervenieren konnte, ihr neues Lieblingslied auf. Nach den ersten Zeilen „Es ist traurig, wenn Liebe erkaltet, es ist furchtbar, wenn Liebe vergeht“, kriegten die Nachbarskinder schon das Würgen und wollten den Raum verlassen. „Ich hasse Liebeslieder!“, riefen sie einstimmig.
„Nee, wartet doch mal, gleich wird’s gut“, sagte die Siebenjährige und sang lautstark: „Lola mit der Engelsmine legt ich auf die D-Zugschiene, Lilli, Lene und Marianne starben in der Badewanne…“ Der Song lief dann in Dauerschleife und alle Kinder hopsten glücklich durchs Wohnzimmer. Zum Glück verstanden die Nachbarskinder den Text nur zur Hälfte und sangen statt „Petroleum“ immer „Das Akkordeon habe ich schon bestellt.“ Wenn sie das dann zu Hause singen, komme ich wenigstens nicht in Erklärungsnot.