• Kinder,  Winter

    Wehret dem Nikolaus!

    Am Nikolausabend wollte der Fünfjährige nur bewaffnet ins Bett gehen. Ihm sind alte Männer grundsätzlich suspekt. Wenn sie dann auch noch nachts mit einer Rute und einem Sack durchs Haus schleichen, macht das die Sache nicht besser.„Mama, wo ist mein Faustkeil?“, fragt der Fünfjährige und sieht sich im Zimmer um. Den hat er in einem Steinzeitpark selbst aus Feuerstein gehauen, er ist angemessen scharf und eignet sich gut für den Nahkampf. Die Siebenjährige sitzt milde lächelnd im unteren Doppelstockbett. Für solche Albernheiten ist sie natürlich zu alt. Sie möchte lieber eine ernsthafte Unterredung mit mir führen.„Hat eigentlich schonmal jemand die Süßigkeiten vom Nikolaus in einem Labor untersucht?“, fragt sie.„Warum?“, frage…

  • Gesellschaft,  Kinder

    Nur ein Geschenk pro Kind

    „SPECHTI!“ Der Fünfjährige steht weinend im Garten. Er hat seinen Playmobil-Specht verloren. „Spechti!“ Wieder und wieder ruft er und lauscht auf eine Antwort, die nicht kommt. Natürlich hatte ich vorher gesagt: „Nimm ihn nicht mit raus, der geht verloren.“ Und wie immer hatte er geantwortet: „Ich pass schon auf.“ Jetzt muss die ganze Familie unseren wilden Garten nach einem daumennagelgroßen Plastikspecht durchsuchen, an dem ein fünfjähriges Herz hängt. Ich glaube, kleinteiliges Spielzeug wurde einzig und allein entwickelt, um Eltern mit ständigem Suchen zu beschäftigen, damit sie keinen klaren Gedanken fassen können, zum Beispiel, ob dieses ganze Kapitalismusding wirklich sein muss und Kinder zu ihrem fünften Geburtstag unbedingt 30 Geschenke brauchen,…

  • Kinder

    Der Schönhaitzsalong

    Die Siebenjährige hat einen „Schönhaitzsalong“ eröffnet. Um das Geschäft anzukurbeln, verteilt sie selbst gemalte Werbezettel im Haus. Darauf stehen jedoch weder Preise noch die angebotenen Leistungen. Lediglich: „Schönhaitzsalong! Bitte Portmorne mitbringen„. Dieses Zurückhalten von Information hätte mich skeptisch machen sollen. Ähnlich wie bei windigen Umzugsunternehmen, die ein Pauschalangebot machen und hinterher immer noch was drauf schlagen, weil sie ansonsten leider den riesigen Pax-Kleiderschrank auf der Straße stehen lassen müssen.Der Fünfjährige ist als Erster dran. Er muss allerdings ziemlich lange im Vorzimmer warten, weil das Salon-Schild noch nicht fertig ist. Schließlich klebt die Siebenjährige mit geschäftiger Miene einen Zettel an ihre Zimmertür: „SchönHaitzSalong Zum goldenen Schlüssel: Negel machen, Hare machen, Gesicht…

  • Kinder

    Überschallantrieb

    Unsere Kinder sind chronisch gut gelaunt. Kaum schlagen sie die Augen auf, fällt ihnen schon etwas lustiges ein und sie kichern im Bett liegend vor sich hin. Im Badezimmer erzählen sie die ersten Witze, während ich noch damit beschäftigt bin, die Augen aufzukriegen.„Mama, was stinkt und wächst unter der Erde? Eine Furzel.“ Sie kugeln sich vor Lachen über die Badematte, obwohl sie den Witz schon 100 Mal erzählt haben. Ich nuschele dann etwas, das nach: „Ja, voll lustig“ klingt, versuche aber gleichzeitig das Thema auf etwas deprimierendes wie das große Artensterben oder die Abholzung der Regenwälder zu bringen, sonst geht das ohne Pause vom Frühstück bis zum Kindergartenbus so weiter.„Was…

  • Kinder

    Herztonmusik

    Ich höre am Schrei, dass der Fünfjährige sich ernsthaft verletzt hat. Es ist kein trotziges Brüllen, kein jämmerliches Klagen oder erschrockenes Weinen, es ist ein Schrei aus purem Schmerz. Sofort wird mir eiskalt und ich schalte in diesen entrückten Automaten-Modus, in dem man sich selbst erstaunt dabei zusieht, wie ruhig man alle wichtigen Handgriffe erledigt, während ein gut verpackter Teil tief in einem verzweifelt schreit und hyperventiliert. Ruhig stehe ich auf, atme tief durch und laufe zu meinem Kind. Der Fünfjährige liegt verdreht auf dem Rasen und wimmert immer wieder: Mama. Der Unterarmknochen ist seltsam verschoben, er ist eindeutig gebrochen. Als ich ihn vorsichtig berühre, schreit er vor Schmerz auf.…

  • Kinder

    Die suspekte Zahnfee

    „Kann die Zahnfee Corona kriegen?“, fragt die Siebenjährige und legt ihren Schneidezahn unter ihr Kopfkissen.„Ich glaube nicht, sie ist ja ein Fabelwesen“, sage ich.„Das ist gut, sonst müsste sie ja 1,5 Meter Sicherheitsabstand halten und könnte sich den Zahn gar nicht holen“, sagt der Fünfjährige.„Können Fabelwesen denn nicht krank werden?“, will die Siebenjährige wissen.„Doch, wenn Menschen aufhören an sie zu glauben. Dann verschwinden sie einfach.“Seitdem meine Nichte mit großem Herzschmerz die erwachsene Wahrheit über den Weihnachtsmann herausgefunden hat, lasse ich bei der Existenzfrage von Symbolfiguren wie Osterhasen und Nikolaus gern ein leichtes Fragezeichen.„Was macht denn die Zahnfee mit den ganzen Zähnen?“, fragt der Fünfjährige.„Vielleicht sammelt sie die Zähne und macht…

  • Kinder

    FSK-Lyrik

    Ich fordere eine FSK-Kennzeichnung für Gedichte. Gestern Abend ist der Fünfjährige irgendwo zwischen Goethe und Heine zitternd zurückgeblieben. Weil er oben auf seinem Hochbett kauerte, habe ich es zu spät bemerkt. Irgendwann kam ein gedämpftes Stimmchen unter der Bettdecke hervor: „Ich schwitze so unter der Decke, aber ich habe solche Angst, dass ich sie nicht wegnehmen kann.“ Es war fast Neun, als die verängstigten Kinder mich endlich aus dem Zimmer ließen.Begonnen hatte alles damit, dass wir im Wartezimmer beim Arzt ein Pixie-Buch angeschaut hatten, in dem die Mutter beim Zubettbringen Gedichte vorlas.„Können wir das auch mal machen“, fragte die Siebenjährige und ich sagte ahnungslos: „Ja, das ist bestimmt schön.“Am ersten…

  • Kinder

    Sexualkunde mit Regenwürmern

    Der Tierarzt knallt eine Schale mit blutigen Kaninchenhoden auf den Tisch. „So, das sind sie“, sagt er. „Äh, danke?“ sage ich und schaue in die Transportbox. Der kleine Kastrat liegt benommen in der Ecke hinter Gittern. So sähe eine Folge Kaninchen-Game-of-Thrones aus, denke ich. Der Fünfjährige wendet sich ab und verbirgt sein Gesicht in den Händen. Hätte ich geahnt, dass uns die Beweismittel der Kastration hinterher präsentiert werden, hätte ich ihn im Auto warten lassen. Er hat vor kurzem verstanden, was es mit den Hoden auf sich hat, und fühlt mit dem kleinen Farinelli. 500 Milliarden Spermien produzieren die Hoden in einem Männerleben, das ist schon ein kleines Wunder. Der…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Die Event-Beerdigung

    Wir überlegen, wen wir umbringen sollen, damit unsere Tochter in zwei Wochen ihren 7. Geburtstag feiern kann. Beerdigungen sind ja wieder erlaubt. Unser Huhn Miss Granger ist vor ein paar Tagen gestorben, vielleicht können wir das im kleinen Kreis mit den Nachbarskindern an ihrem Geburtstag beerdigen. Dafür müssten wir es allerdings erstmal exhumieren. Hinterher natürlich gut Händewaschen und zweimal Happy Birthday singen. Am Geburtstag macht das ja endlich mal Sinn. Oder wir spendieren allen eingeladenen Kindern einen neuen Haarschnitt, die Frisöre sind ja wieder geöffnet. Oder Friedolin und ich vollziehen eine Blitzscheidung und heiraten wieder an ihrem Geburtstag. Vorzugsweise jemand anderen. Nach sieben Wochen Quarantäne können wir ein bisschen Abwechslung…

  • Kinder

    Das Konversations-Chaos

    Friedolin und ich reden fast nur noch Englisch beim Essen. Ich könnte jetzt behaupten, dass wir alles für die kindliche Frühförderung tun. Tatsächlich hagelt es Zwischenrufe, wenn wir uns auf Deutsch unterhalten: Friedolin: „Wir müssen die PV-Anlage vorm Winter dringend…“Siebenjährige: „Was ist die PV-Anlage?“Ich: „PV steht für Photovoltaik – die Platten auf unserem Dach, die Sonnenlicht in Strom verwandeln.“ zu Friedolin: „Aber Friedolin, was müssen wir denn…Fünfjähriger: „Wo Papa mal hochgeklettert ist, weil die ein Vogel durchgepickt hat?Friedolin: „Ja, das war der Temperaturfühler von den Warmwasserkollektoren.“ zu mir: „Da müssen wir die Solarflüssigkeit aus…“Siebenjährige: „Foto so wie in Fotografieren?“Ich: „Ja, das ist der gleiche Wortstamm, Photo bedeutet Licht und für…