Kinder

Die suspekte Zahnfee

„Kann die Zahnfee Corona kriegen?“, fragt die Siebenjährige und legt ihren Schneidezahn unter ihr Kopfkissen.
„Ich glaube nicht, sie ist ja ein Fabelwesen“, sage ich.
„Das ist gut, sonst müsste sie ja 1,5 Meter Sicherheitsabstand halten und könnte sich den Zahn gar nicht holen“, sagt der Fünfjährige.
„Können Fabelwesen denn nicht krank werden?“, will die Siebenjährige wissen.
„Doch, wenn Menschen aufhören an sie zu glauben. Dann verschwinden sie einfach.“
Seitdem meine Nichte mit großem Herzschmerz die erwachsene Wahrheit über den Weihnachtsmann herausgefunden hat, lasse ich bei der Existenzfrage von Symbolfiguren wie Osterhasen und Nikolaus gern ein leichtes Fragezeichen.
„Was macht denn die Zahnfee mit den ganzen Zähnen?“, fragt der Fünfjährige.
„Vielleicht sammelt sie die Zähne und macht Gebisse für alte Menschen daraus“, überlegt die Siebenjährige. Unser sehr tolles Nachbarmädchen hat vor kurzem einen Teil ihrer langen Haare gespendet, damit Perücken für Krebspatienten daraus geknüpft werden können. Das hat die Kinder schwer beeindruckt.
Mir persönlich ist diese Zahnfee etwas suspekt. Ich hatte bisher mit ihr nie etwas zu tun. Als ich ein Kind war, gehörte Deutschland noch nicht zu ihrem Liefergebiet. Und die Siebenjährige hat ihre bisherigen Milchzähne entweder behalten wollen oder verbummelt. Seit Wochen quälte sie aber ein wackelnder Schneidezahn, der einfach nicht rauswollte und ständig blutete. Und weil wackelnde Zähne ja bekanntlich wackelnde Kinder erzeugen, waren wir unserer Zahnärztin sehr dankbar, dass sie ihn gestern bei der Kontrolluntersuchung fachmännisch gezogen hat.
„Den kriegt jetzt aber die Zahnfee“, sagte die Siebenjährige daraufhin entschieden. Wobei unsere Zahnärztin den Job streng genommen bereits übernommen hatte: sie hat der Siebenjährigen einen Flummi für ihre Tapferkeit geschenkt. Das beste, was ich mal beim Zahnarzt gekommen habe, war eine Beruhigungsspritze vor einer Wurzelspitzenresektion. Danach war ich so high, dass ich den Zahnarzt heiraten wollte, weil ich der festen Überzeugung war, er sei der schönste Mann der Welt. Ich habe mich dann aber doch für Friedolin entschieden. Den finde ich auch ohne Drogen schön.

Der Brauch der Zahnfee geht anscheinend schon auf die Wikinger zurück. Die Krieger gaben ihren Kindern Geld für die Zähne und trugen sie in einer Kette um den Hals, was Glück im Kampf bringen sollten. In anderen Kulturen wurden die Zähne im Garten vergraben, damit die neuen Zähne gut wuchsen und böse Hexen sie nicht in die Finger bekamen und damit Macht über die Kinder erlangten. Daher wurden die Zähne auch oft verbrannt. Der erste verlorene Zahn ist seit jeher Teil eines Übergangsrituals. In Frankreich und Italien kommt die Zahnmaus, in der Schweiz eine Ameise und in Korea die Elster. Bei uns komme ich in der Nacht geschlichen und tausche den Zahn gegen einen winzigen silbernen Fingerhut, den ich in meiner Sammelsuriumskiste gefunden hab. Vielleicht sollte ich mir im Gegenzug den Zahn den Siebenjährige um den Hals hängen, um mich für die Kämpfe dieses Winters zu wappnen.

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