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Die erdrückende Freiheit
Soll ich oder soll ich nicht? Soll ich die Siebenjährige bis Mitte Februar von der Schule abmelden oder soll ich sie wechseltägig hinschicken? Die Niedersächsische Landesregierung hat uns Grundschul-Eltern diese Entscheidung überlassen. Unserem Kultusminister Grant H. Tonne zufolge wüssten Eltern am besten, was ihren Kindern guttue. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: bei allen Freiheitseinschränkungen, mit denen wir seit März zu kämpfen haben, auf diese Freiheit hätte ich gern verzichtet. Diese Entscheidungsfindung macht mich einfach nur wahnsinnig müde. Sind wir Eltern alle plötzlich über Nacht zu Hobby-Virologen geworden und können ernsthaft einschätzen, ob der Schulbesuch unserer Kinder fahrlässig oder vertretbar ist?Ob unsere beruflichen oder privaten Gründe für den Schulbesuch schwerer…
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Die magische Standleitung
Wir haben jetzt eine Wahrsagerin im Haus. Sie ist zwar erst Sieben, hat dank ihrer magischen Kristallkugel aber eine Standleitung zur tiefen Weisheit des Universums. Behauptet sie zumindest. Hoffentlich ist die Leitung aus Glasfaser, alles andere funktioniert hier auf dem Dorf nämlich nur bedingt.Die Siebenjährige hatte bei unserem täglichen Rundgang durch das Dorf hinter dem Altglascontainer eine 70er-Jahre-Lampenkugel aus Strukturglas entdeckt und sich direkt verliebt. Also brachen wir unseren Spaziergang ab und trugen den kostbaren Fund nach Hause. Ich glaube ja, dieses Finden und Wertschätzen von Straßenrand-Treibgut liegt in den Genen direkt neben der Haarfarbe, die Siebenjährige ist dabei ebenso findig wie ihr Vater und Großvater. Zuhause baute sie die…
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Ausschlafen
8,5 Stunden Schlaf braucht der Mensch. Und nicht 7,5 wie bisher angenommen. Zumindest, wenn man den Forschungsergebnissen verschiedener Schlafstudien glaubt, die das Schlafverhalten ihrer Probanden zwischen April 2019 und 2020 verglichen hatten. Die Probanden hatten ihren Nachtschlaf im Lockdown ohne feste Termine und Zeitdruck nach und nach auf 8,5 Stunden verlängert. War für mich jetzt keine Überraschung. Ich brauche sogar eher 9 Stunden. Dann starte ich wirklich entspannt und glücklich in den Tag. Denn diese luxuriöse neunte Stunde ist für mich die Zeit des erinnerten Träumens, vor allem im Halbschlaf in den späten Morgenstunden sind es wunderbare Träume, die mich warm und wohlig aufwachen lassen. Meistens bekomme ich aber höchstens…
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Kinder im Lockdown
„Warum werde ich eigentlich nie zum Geburtstag eingeladen?“, fragt der Fünfjährige beim Abendessen.„Du bist doch schon auf ganz vielen Geburtstagen gewesen“, sage ich, doch er schiebt nur missmutig das Brot auf seinem Teller hin und her. Dann fällt mir ein: seine letzte Geburtstagsfeier liegt dank Corona über ein Jahr zurück.Als ich ihn an Weihnachten fragte, ob er traurig darüber sei, dass wir die Großeltern nun doch nicht sehen können, sagte er leise: „Ach, die sehen wir doch eh nicht mehr.“Vor ein paar Tagen trafen wir eine Familie zufällig im Wald, unsere Kinder waren früher gut miteinander befreundet gewesen, aber sie sind seit Corona sehr zurück gezogen. Die Kinder der Familie…
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Zettelwirtschaft
Die Siebenjährige muss einen Wunschzettel als Deutschhausaufgabe schreiben.„Liebes Christkind, ich wünsche mir zu Weihnachten 1. kein Corona 2. Schnee.“Als sie bei Punkt 10 angekommen ist, sage ich:„Ist doch praktisch. Dann kannst du den hinterher direkt an das Christkind schicken.“Sie schaut mich schockiert an. „Nein, Mama. Über eine Hausaufgabe würde sich das Christkind bestimmt nicht freuen. Für das Christkind muss ich einen ganz besonderen Wunschzettel schreiben.“Die Siebenjährige liebt es, Zettel zu schreiben. Wunschzettel, Einkaufszettel, Beschwerde-Zettel, Sehnsuchts-Zettel, Zettel-Weisheiten. Gestern lag ein in Schönschrift geschriebener Zettel auf meinem Schreibtisch:„Jeder Gegenstand ist wie ein Wesen, wenn man ihn richtig betrachtet.“Darunter zwei Herzen mit einem Regenbogen verbunden.„Wo hast du denn den Spruch her?“, frage ich…
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Ritual am Abend
Die Kinder wollen nicht mehr allein einschlafen. Früher bestand unser Abendritual aus einer Geschichte-einem Lied-einem Kuss und dann ging ich aus ihrem Zimmer. Ich ließ die Tür noch einen Spalt offen und tippte extra laut auf meinem Laptop nebenan, bis sie endgültig eingeschlafen waren. Oft hörte ich sie streiten, weil der Fünfjährige auf seinem Hochbett beim Einschlafen gern Plopp-Schnalz-Pfeiff-und-Pups-Geräusche macht, um die Spannung des Tages abzubauen, die Siebenjährige im unteren Bett aber bei Plopp-Schnalz-Pfeiff-und-Pups-Geräuschen nicht einschlafen kann. Dann musste ich wieder rein und klarstellen, dass die Siebenjährige auch durchaus in ihrem eigenen Zimmer schlafen könne, das zur Zeit nur als Gästezimmer genutzt wird, weil sie dort ja ihre Ruhe vor…
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Gib den Äffchen Zucker!
Wahrscheinlich werden unsere Kinder nicht alt. Bei ihrem Zuckerkonsum werden sie schon als Teenager Diabetes und eine Fettleber kriegen. Eigentlich können wir ihr Ausbildungskonto auch gleich auf den Kopf kloppen.Als am Weltdiabetestag die Medien voll von apokalyptischen Warnungen vor zu viel Zuckerkonsum bei Kindern waren, ist mir direkt der Keks aus der Hand gefallen. Jedes siebte Kind ist übergewichtig, schon Teenager tragen Wohlstandsbäuche mit sich herum und leiden am metabolischen Syndrom, was früher nur mit alten Menschen in Verbindung gebracht wurde. Dabei waren Friedolin und ich mit so guten Vorsätzen gestartet.In den ersten Lebensjahren der Siebenjährigen gab es bei uns ungesüßten Haferflockenbrei zum Frühstück, Leitungswasser zum Trinken, ungesüßten Naturjoghurt und…
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Vogelfrühstück
Friedolin hat den Amseln ihr Frühstück weggefuttert. Der Fünfjährige und ich hatten heute früh mühsam Nüsse geknackt, gepult und klein geschnitten, mit Haferflocken, Sonnenblumenkernen und Rosinen vermischt und in einer kleinen Schüssel auf der Anrichte in der Küche stehen lassen, weil wir nach dem Regen das Vogelhaus damit bestücken wollten. Als ich kurze Zeit später in die Küche komme, ist mein verschlafener Mann gerade fertig mit seinem späten Frühstück und sagt:„Das war aber mal ein reichhaltiges Müsli heute.“„Was denn für ein Müsli? Wir essen doch nie Müsli?“, sage ich leicht verwirrt. Bei uns gibt eigentlich nur Haferflockenbrei mit Obst.„Na, das in der Schale auf der Anrichte.“„Das war Vogelfutter!“„Ich hab mich…
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Die Mamapizza
Ich habe meine endgültige Bestimmung gefunden: ich bin eine Pizza. Ich hatte gestern nachmittag einen toten Punkt. Er war nicht nur tot, er war schon am Verwesen. Also kippte ich kopfüber auf die Matratze im Tobeflur und rührte mich nicht mehr. Aber wie immer, wenn Mütter verwesende Punkte haben, waren die Kinder absolut unleidlich. Der Fünfjährige hockte sich auf meinen Rücken und quengelte ununterbrochen in mein Ohr: „Mama, holst du meinen Pferdestall vom Dachboden und spielst mit mir?“ Ich stellte mich tot, aber das interessierte ihn nicht weiter. „Mama, Mama, Mama, Mama.“ Also nuschelte ich in die Matratze:„Ich weiß nicht, wo der Stall ist, frag Papa, der hat den hoch…
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Mörderballaden
Unsere Kinder haben einen morbiden Musikgeschmack. Sie lieben Mörderballaden wie die Moritat von Mackie Messer oder die Ballade von der Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper. Wenn Jenny ihren Piraten befiehlt, alle Gefangenen zu töten, singen sie fröhlich mit: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich: Hoppla!“ Sie hüpfen aufgeregt kichernd im Kreis und gruseln sich. Ihr aktuelles Lieblingslied ist Bidla Bu von Georg Kreisler, in dem ein Mann seine Geliebten der Reihe um die Ecke bringt, damit die Liebe nicht verblasst. Natürlich ist es wichtig, bei solchen Liedern die Kinder liebevoll zu begleiten. „Mama, was ist Strychnin?“„Ein wirksames Gift, das einen sofort tötet.“„Aha.“ „Und wozu braucht man Petroleum?“„Damit zündet er…