Corona-Chronik

die Quarantäne-Chroniken

  • Corona-Chronik

    Kinder im Lockdown

    „Warum werde ich eigentlich nie zum Geburtstag eingeladen?“, fragt der Fünfjährige beim Abendessen.„Du bist doch schon auf ganz vielen Geburtstagen gewesen“, sage ich, doch er schiebt nur missmutig das Brot auf seinem Teller hin und her. Dann fällt mir ein: seine letzte Geburtstagsfeier liegt dank Corona über ein Jahr zurück.Als ich ihn an Weihnachten fragte, ob er traurig darüber sei, dass wir die Großeltern nun doch nicht sehen können, sagte er leise: „Ach, die sehen wir doch eh nicht mehr.“Vor ein paar Tagen trafen wir eine Familie zufällig im Wald, unsere Kinder waren früher gut miteinander befreundet gewesen, aber sie sind seit Corona sehr zurück gezogen. Die Kinder der Familie…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Unser Reichtum

    „Kinder, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch“, sagte ich gestern beim Abendessen. Ich hatte einen riesigen Topf Nudeln gekocht, wir brauchten alle etwas Nervennahrung. Zwei kleine Gabeln blieben erwartungsvoll in der Luft hängen, vier blitzblaue Augen schauten mich an.„Die gute Nachricht ist: Papa und ich gehen den ganzen November nicht auf Tour und haben viel Zeit für euch“, sagte ich. Mäßiger Jubel am Tisch. Ich hatte mir fest vorgenommen, die Kinder nichts von unseren Sorgen über diesen erneuten Lockdown spüren zu lassen. Meine Eröffnung fand ich schonmal ziemlich gelungen.„Und was ist die schlechte Nachricht?“, fragt die Siebenjährige.„Sag: Ihr müsst eure sündhaft teuren Steiff-Tiere zurück geben, weil…

  • Corona-Chronik,  Mamaaa!!!

    Klare Sicht

    Die Siebenjährige ist bei unseren Nachbarn gegen die Wintergarten-Tür gelaufen. Die Scheibe der Tür war so gut geputzt, dass sie diese nicht als solche erkannt hat.Unsere Scheiben sehen einfach nie so aus. Selbst wenn ich zweimal im Jahr Fenster putze, patscht der Fünfjährige sofort mit seinen Schmierfingern dagegen, weil er im Garten eine Kröte gesehen hat oder den Eichelhäher oder einfach nur, weil es Spaß macht mit Schmierfingern gegen die Scheibe zu patschen. Dafür ist bei uns auch noch nie ein Vogel gegen die Scheibe geknallt. Ich tue ja alles für den Artenschutz. Vielleicht sollte man mal so schwarze Scheibenaufkleber mit dem Umriss kleiner Mädchen erfinden. Dann läuft unsere Tochter…

  • Corona-Chronik,  Paar

    Mein Mann, der Zombie

    Friedolin ist deutlich besser für Isolation gemacht als ich. Ihm reichen: „Steckst du noch ein Toast rein?“, „Besetzt!“ und „Willst du heute Abend noch was gucken?“ als zwischenmenschlicher Austausch am Tag. Wobei wir letzteres nur noch auf Englisch sagen. Sonst quengeln die Kinder, dass sie mit gucken wollen. Aber da sie ja schon von Sesamstraße Schnappatmung kriegen, sind deprimierende Netflix-Serien vermutlich eher nicht die geeignete Abendunterhaltung für sie. Für mich allerdings auch nicht. Seit Corona kann ich so was nicht mehr gucken. Ich sehe keinen Sinn darin, die Realität ist gerade deprimierend genug. Friedolin versteht das nicht:„Du hast doch sogar beim Stillen The Walking Dead geguckt.“„Aber mit den Zombies konnte…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Die Event-Beerdigung

    Wir überlegen, wen wir umbringen sollen, damit unsere Tochter in zwei Wochen ihren 7. Geburtstag feiern kann. Beerdigungen sind ja wieder erlaubt. Unser Huhn Miss Granger ist vor ein paar Tagen gestorben, vielleicht können wir das im kleinen Kreis mit den Nachbarskindern an ihrem Geburtstag beerdigen. Dafür müssten wir es allerdings erstmal exhumieren. Hinterher natürlich gut Händewaschen und zweimal Happy Birthday singen. Am Geburtstag macht das ja endlich mal Sinn. Oder wir spendieren allen eingeladenen Kindern einen neuen Haarschnitt, die Frisöre sind ja wieder geöffnet. Oder Friedolin und ich vollziehen eine Blitzscheidung und heiraten wieder an ihrem Geburtstag. Vorzugsweise jemand anderen. Nach sieben Wochen Quarantäne können wir ein bisschen Abwechslung…

  • Corona-Chronik,  Urlaub

    Wir spielen Hotel

    Es sind Ferien und wir brunchen in unserem heimischen Privat-Hotel. Friedolin mimt den Küchenchef, bei dem man sich wünscht, dass er ein Haarnetz tragen würde. Ich spiele den schlechtgelaunten Gast, der von der Putzkolonne geweckt wurde, weil er vergessen hat das „Bitte nicht stören“-Schild an die Tür zu hängen. Unsere Tochter sitzt am Eingang zum Speisesaal und fragt nach der Zimmernummer.„Mein Zimmer hat gar keine Nummer“, sagt der Vierjährige verwirrt.„Dann darfst du hier auch nicht rein“, sagt die Große streng. Sie hat oft erlebt, wie ich auf Tour übernächtigt die Zimmernummer nicht wusste, weil wir ja jede Nacht das Hotel wechseln. Der Vierjährige ist kurz vorm Weinen. Dabei hat das…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Welche Farbe hat Fantasie?

    „Mama, welche Farbe hat Fantasie?“ Ich versuche die Augen zu öffnen, aber die schlafen noch, die glücklichen. Ich kriege keine Luft. Jetzt habe ich aber wirklich Corona, denke ich. Doch es sitzt nur ein Kind auf meiner Brust. „Weiß ich nicht“, versuche ich zu sagen. Es klingt aber mehr wie „Wschnscht.“„Wschnscht ist doch keine Farbe“, sagt meine Tochter. „Fantasie hat nicht nur eine Farbe, Fantasie ist alle Farben.“ Zufrieden klettert sie von mir runter. Natürlich nicht, ohne mir dabei in die Magengrube zu treten. „Schön, dass wir das geklärt haben“, ächze ich und dreh mich nochmal um. Vor Sonnenaufgang habe ich keine Sprechstunde. Das Zwielicht zwischen Wachen und Schlafen gehört…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Die militante Oma

    Meine Mutter ist auf kaltem Entzug. Drei Wochen allein in freiwilliger Quarantäne in der Stadt, drei Wochen ohne Enkelkinder. Die Substitutionstherapie aus Schokotrüffeln und Eierlikör schlägt nicht mehr an. Sie entwickelt bedenkliche Entzugserscheinungen. Täglich schickt sie uns Selfies von ihren selbstgebastelten Atemschutzmasken, mit denen sie andere Kunden im Supermarkt verschreckt. Die Strategie geht auf. Im Gegensatz zu uns hat sie immer Mehl und Klopapier. Vielleicht liegt es auch an ihrem ausgeprägten Heuschnupfen. Sobald sie niesend und maskiert den Supermarkt betritt, leert sich das Geschäft schlagartig. Sollten die Supermärkte in Hannover pleite machen, meine Mutter ist Schuld. Als sie anfängt, die Enkelkinder ihrer Nachbarn zu stalken, ziehen wir die Reißleine. Denn…

  • Corona-Chronik,  Kinder

    Haare schneiden in Bullerbü

    Heute gehen wir zum Frisör. Gemeinsam mit Astrid Lindgren. Das funktioniert so, dass die Kinder sich ihre Zauberumhänge anziehen und erwartungsfroh in unserem Frisiersalon am Küchentisch Platz nehmen. Sie freuen sich, weil sie beim Haareschneiden auf dem Laptop Bullerbü gucken können. Sonst dürfen sie nur fernsehen, wenn schlechtes Wetter ist. Und da es seit dem Klimawandel in unserem Dorf kaum noch regnet, kommt das selten vor. Eigentlich soll das Fernsehen beim Stillsitzen helfen, aber für den Vierjährigen ist selbst Bullerbü so aufregend, dass er vor Freude und Spannung zittert. Wenn er auf Tour im Hotel mal normales Kinderfernsehen gucken darf, muss er zwischendurch in eine Tüte atmen. Und ich auch.…

  • Corona-Chronik,  unser Dorf

    Das alternative Osterfeuer

    Heute hat es im Dorf gebrannt. Ganz zur Freude unserer Kinder. Der alte Herr H. hatte mit dem Unkrautflämmer seine Lebensbaumhecke in Brand gesetzt. Da es in diesem Jahr wegen Corona kein Osterfeuer gibt, waren wir Herrn H. sehr dankbar, dass er die Dinge selbst in die Hand genommen hat. Friedolin überlegt auch, wie wir unseren ganzen Grünschnitt loswerden sollen. Kein Osterfeuer, das Kompostwerk hat zu und die Nachbarn mit dem Schredder sind in Quarantäne. Vielleicht sollten wir uns den Unkrautflämmer vom alten Herrn H. ausleihen.Als die ganze Straße unter Qualm stand, kamen die Nachbarn mit Wassereimern angerannt und löschten den Brand. Es dauerte ein bisschen länger, weil sie bemüht…