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Hier sieht’s aus wie im Kindergarten
Der Sechsjährige legt einen Haufen schmutzige Kiesel auf den Telefontisch im Flur.„Wieso legst du die da hin?“, fragt Friedolin.„Na, zur Deko.“„Und was hast du damit vor?“Der Sechsjährige schaut seinen Vater verständnislos an.„Nix. Die liegen einfach da. Zur Verschönerung.“Womit er den Sinn von Dekoartikeln ja ziemlich gut auf den Punkt gebracht hat. Ich betrachte die schmutzigen Kiesel und frage mich, ob sie für die diesjährige Herbstdeko wohl ausreichen. Mit dem Dekofeuerwerk der anderen Frauen des Dorfes kann ich ohnehin nicht mithalten. Mit all den kunstvollen Gestecken, ästhetischen Kränzen und motivierenden Sprüchetafeln. „UNSER HAUS IST VOLLER LIEBE, FREUDE UND LEBEN.“Unser Haus sieht immer aus, als hätte der Wind einen Haufen knallbunten Müll…
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Kunstkritik am Kind
Der Fünfjährige macht jetzt in Bildende Kunst. Seine derzeitige Schaffensperiode heißt: Vor der zweiten Welle. Es ist viel Tesafilm involviert. Connoisseure performativer Gegenwartskunst konnten kürzlich Zeuge werden, wie in einem scheinbar zerstörerischen Akt eine langstielige Sukkulente in ihre Einzelteile zerlegt und mit einem Küchenmesser ihrer schützenden Außenhaut beraubt wurde. Dabei ging der Künstler ironisch auf das geltende Abstandsgebot ein, indem er als Teil der Performance Pflanzenteile in einem Umkreis von exakt anderthalb Metern von sich schleuderte. Anschließend applizierte er das organische Material mit Tesafilm auf einem DIN-A4 Blatt. In der Transformation von Natur zu Kultur wurde das Spannungsfeld zwischen Chaos und Norm erfahrbar. Der Tesafilm, als Inbegriff der Wegwerfgesellschaft, beraubt…