Winter

Kufen und Eis

Sie gleitet durch den feinen Schnee. Die Kufen ihrer Schlittschuhe kratzen über das darunter verborgene Eis. Alles funkelt und glitzert und strahlt: die Sonne, der Schnee, das Eis, ihre Augen. Sie breitet die Arme aus und beschreibt einen weiten Bogen über den See, gleitet im Slalom unter den tief hängenden Zweigen der Trauerweide hindurch und kommt mit einer Drehung zum Stehen: „Ich hätte nie gedacht, dass Schlittschuhlaufen so viel Spaß macht!“, ruft die Siebenjährige und reckt glücklich ihre Arme in den Himmel.

Unsere Kinder sind noch nie Schlittschuh gelaufen. Die vergangenen Winter waren zu warm und ich wollte sie als stolpernde Anfänger nicht in das Getümmel der Eissporthallen schicken. Was, wenn ich ehrlich bin, aber eher ein vorgeschobener Grund ist. Bisher mussten wir während der Schlittschuh-Saison am Wochenende arbeiten. Außerdem fühle ich mich in Menschenmengen nicht besonders wohl. Erholung fängt für mich da an, wo Stille ist. Insofern man mit zwei Kindern jemals Stille haben kann. Doch hier auf unserem zugefrorenen See ist sie allumfassend. Nur die Wildgänse und Güterzüge sind zu hören und der Wind im knisternd gefrorenen Schilf.
Der Wasserstand vor unserem Pacht-Grundstück beträgt nach den heißen Sommern nur noch 50 cm, daher können die Kinder gefahrlos ihre Kreise auf dem Eis ziehen. Nur am Ufer bei der Reifenschaukel lauert unter einer Schneewehe ein Wasserloch. Es zieht die Kinder magisch an. Vor allem, weil der kleine Rehbock sich dort sein Rehklo eingerichtet an. Rehköttel zu studieren ist fast so spannend wie Schlittschuhlaufen. Die Kinder verfolgen seine Fährte über das Eis.
Der Fünfjährige tat sich am Anfang schwer. Die Bewegungsmuster in Schlittschuhen sind seinem Körper fremd, im Gegensatz zu seiner Schwester ist er noch nie Rollschuh gelaufen. Eigentlich wagt er sich erst an Neues heran, wenn er sicher ist, dass er es auf Anhieb kann. Oder wenn keiner dabei zusieht, solange er es nicht kann. Aber die Chance, auf unserem See Schlittschuh zu laufen kommt vermutlich so bald nicht wieder. Also tue ich etwas, das ich sonst nie tue: Ich zwinge ihn, durchzuhalten. Durch Wutanfälle und Tränen und „Warum kann sie das schon so gut und ich nicht?“ Als die Sonne langsam hinter den Schwarzerlen verschwindet, breitet er plötzlich die Arme aus und fliegt allein und sicher über das Eis. Mit rotgefrorenen Wangen kommt er vor mir zum Stehen und strahlt: „Jetzt kann ich es.“ Er ist bestimmt 10 cm größer als vorher. Und das liegt nicht an den Schlittschuhen.

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