Mamaaa!!!

Zeitraffer

„Ich müsste dringend mal früher ins Bett, aber dann hätte ich gar keine Zeit mehr für mich.“
Das ist seit Corona der häufigste Satz, den ich von Müttern höre.

Was haben wir früher bloß mit der ganzen Zeit angefangen? Als die Kinder noch jeden Morgen das Haus verließen? Wisst ihr noch, wie schön dieses Gefühl war, von kleinen Armen zum Abschied umfasst zu werden, ein Kuss auf ihren duftenden Scheitel, nein, Mama, du musst mich nicht bis zur Bushaltestelle bringen, was sollen denn die anderen Kinder denken…
Ich vermisse es, die Kinder zu vermissen.
Zugegeben, ich vermisse es nicht, um 6:30 Uhr aufzustehen, Schulbrote zu schmieren und nachmittags als Mama-Kutsche diverse Freizeitaktivitäten anzusteuern. Aber was habe ich mit den kinderfreien Stunden bloß alles angestellt?

Ich kann mich kaum erinnern, es scheint so lange her. Vermutlich habe ich gearbeitet, Rechnungen bezahlt, aufgeräumt, Wäsche gemacht und gekocht. Alles meinem eigenen Rhythmus folgend, ohne Enge in der Brust. Manchmal habe ich auch einen Kaffee getrunken, etwas Zeitung gelesen oder telefoniert, verrückt oder? Das mache ich jetzt natürlich auch alles, aber im Zeitraffer und nach dem Rhythmus der Kinder. Schließlich stapeln sich auf meinem Aufgabenturm zusätzlich zu allem anderen noch Homeschooling, Kindergartenersatz, Kinderturnenersatz, Spielkameradenersatz, der Turm wird höher und höher und passt nicht mehr in meinen 15 Stunden Tag. Also mache ich einen 17 Stunden Tag draus, entwickele die Flimmerverschmelzungsfrequenz einer Stubenfliege und sitze wie ein Mauersegler niemals still.

Seltsamerweise habe ich mich aber schon vor Corona so gefühlt.

Was haben wir früher bloß mit der ganzen Zeit angefangen? Als wir noch in einer Dreizimmerwohnung mit Balkon wohnten und nicht in einem alten Fachwerkhaus mit Gemüsegarten und Hühnern? Ich erinnere mich dunkel, dass ich öfter gewischt, aufwändiger gekocht und mich mit meinem Ehemann in ganzen Sätzen unterhalten habe. Dennoch müssen da noch Stunden übrig gewesen sein? Es kam mir nie so vor. Die Kinder waren schließlich kleiner und brauchten mehr Zuwendung.

Aber was haben wir bloß mit all unserer Zeit angefangen, bevor wir Kinder hatten? Oder als wir nur ein Kind hatten? Wie überheblich fand ich das Mantra der Mehrfach-Eltern: Ein Kind ist kein Kind. Doch sie hatten recht. Wir haben ohne Kinder definitiv mehr geschlafen. Ich erinnere mich schemenhaft an endlose Sonntage im Bett, mit Kaffee und Büchern und Zeitungen und Serien. Wir haben auch häufiger einfach so auf dem Sofa gesessen. Wir haben Mahlzeiten ausfallen lassen oder erst um 21 Uhr gekocht. Vermutlich haben wir achtsam Kaffee getrunken, uns mit Freunden getroffen, sind ins Kino gegangen.

Wie subjektiv ist doch unser Zeitempfinden in Bezug auf das Vergehen der ach so objektiven Zeit. Habe ich wirklich keine Zeit mehr oder nehme ich sie mir nur nicht? Gewinne ich Zeit mit meinen Kindern durch Corona oder verliere ich sie? So oder so würde ich gern einfach mal nur in meiner Hängematte unter dem Apfelbaum liegen und der Amsel bei ihrem Abendkonzert zuhören. Ohne schlechtes Gewissen, weil gerade etwas ganz wichtiges liegen bleibt. Dafür verabrede ich mich jetzt mit mir selbst. Ich erzähle euch dann, wie es war.

Eine Antwort schreiben