Football’s coming home
Der Sechsjährige ist am Boden zerstört. Erst gestern hatte er seine Liebe zum Fußball entdeckt und nun ist der Herzschmerz groß. Er war freudestrahlend aus dem Kindergarten gekommen und hatte: „Deutschland vor, noch ein Tor!“ gebrüllt und seine kleinen Fäuste in die Luft gestreckt, deren Daumennägel seine Kindergärtnerin schwarz-rot-gold lackiert hatte.
„Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“, hatte ich ihn gefragt und er hatte grinsend den Kopf geschüttelt. Fußball hatte bis gestern keinen Platz in unserem Leben. Die Achtjährige hat vor Jahren mal beim Kindergarten-Fußball-Turnier mitgespielt. Aber an dem Sechsjährigen ist Fußball bisher komplett vorbei gegangen. Manchmal kickt Friedolin mit den Kindern auf dem Rasen ein bisschen hin und her, was meistens damit endet, dass er seinem kleinen Sohn ins Gesicht schießt und das Geheul groß ist. Also gucken wir das Spiel. Auf der Leinwand. Mit Salzbrezeln und italienischem Aprikosensaft. Der Sechsjährige vibriert vor Aufregung, die Achtjährige lauscht mäßig interessiert meinen Ausführungen über Spielregeln, Taktik und David Beckham auf der Tribüne. Als mal wieder zwei Spieler über den Rasen rutschen, ist ihr einziger Kommentar:
„Deren Mamas müssen ganz schön viel Wäsche waschen.“
Die meisten der jüngeren Spieler kenne ich selbst nicht, aber der Sechsjährige wiederholt immer wieder ehrfürchtig einen Namen: Manuel Neuer. Der hat es ihm sofort angetan. Mitten im Spiel entscheidet die Achtjährige plötzlich, dass sie ab jetzt für England ist.
„Wenn ihr alle für Deutschland seid, bin ich halt für England“, sagt sie schulterzuckend.
Der Sechsjährige muss aufs Klo. „Könnt ihr mal kurz stopp machen?“, fragt er. Woraufhin ich ihm den Unterschied zwischen Live und Streaming erkläre und dann ist eh Halbzeit.
„Wenn du das so spannend findest, kannst du doch auch selbst Fußball im Verein spielen“, schlage ich vor.
„Dafür ist es zu spät“, sagt er leicht bedrückt. „Wenn man nicht mit Drei anfängt, wird man nicht mehr gut.“
„Sagt wer?“
„Die Jungs im Kindergarten.“
„Aber du kannst ja auch einfach nur so spielen, weil es Spaß macht.“
Er schüttelt resolut den Kopf.
Das Ende des Spiels kommt schneller als gedacht. Die Achtjährige sagt:
„Hat sich doch gelohnt, für England zu sein“, und geht ins Bett lesen.
Der Sechsjährige bricht weinend auf dem Sofa zusammen. Als ich ihn trösten möchte, zeigt er mir mit dem Gesicht im Kissen vergraben einen schwarz-rot-gold lackierten Daumen runter. Das ist unser geheimes Zeichen für: Ich möchte lieber allein sein. Also verlasse ich leise das Zimmer und denke: Ab morgen gucken wir wieder Shaun das Schaf.