Geh mir nicht auf die Nüsse!
Mein Mann sollte ein Radio heiraten. Dem hört er wenigstens zu. Und er merkt sich die gehörte Information länger als 30 Sekunden. Meine Mitteilungen vergisst er, sobald ich sie ausspreche. Ich habe schon versucht, meine Botschaften in nachrichtenkonforme Sprache zu verpacken: nur Hauptsätze und Fakten, Nebensätze und Konjunktiv vermeiden. Hat nichts genützt. Vielleicht kommt in meinen Sätzen nicht genug RKI und Merkel drin vor. Kürzlich hat er beim Werkstattaufräumen im Radio einen Bericht über gesunde Fettsäuren gehört. Seitdem kauft er keine Chips mehr. Zwar habe ich ihm vor über einem Jahr zu genau diesem Thema exakt dieselben Informationen geliefert, davon ist aber nichts hängengeblieben.
„Omega 3 Algenöl soll gut sein, wenn man vegetarisch lebt“, sagt Friedolin. Ich stehe auf und stelle das verstaubte Omega 3 Algenöl auf den Tisch, das ich letztes Jahr gekauft hatte, das außer mir aber keiner gegessen hat. Weil mir ja keiner zuhört.
Friedolin kauft seit dem Fett-Bericht auch nur noch ungesalzene Nüsse. Vor allem Cashews, weil da eine Menge Tryptophan drin ist, woraus im Körper der Botenstoff Serotonin hergestellt wird. Wir essen jetzt also nur noch antidepressive, stimmungsaufhellende, entspannende und schlaffördernde Nüsse. Ich sage, mit Chips habe ich mich aber trotzdem besser gefühlt. Wenn ich den ganzen Tag vorbildlich funktioniert habe, möchte ich nach Feierabend auch mal etwas absolut Unsinniges tun dürfen. Friedolin sagt, ich könne ja selber einkaufen gehen. Aber wir wissen beide, wie unrealistisch das ist. Wenn ich mit dem Einkauf in unserem Supermarkt für das Überleben unserer Familie sorgen müsste, wären wir längst verhungert. Ich verzweifele jedes Mal an der Flut aus Plastik und Chemie und komme dann mit einer einsamen Gurke und einer Steckrübe nach Hause. Also geht Friedolin in den Supermarkt und ich bestelle die Gemüsekiste und fahre auf den Markt. Da gibt es aber keine Chips. Also ziehe ich den Super-Joker aus dem Ärmel und sage: „Meine Mutter isst jetzt auch immer Cashews wegen des Serotonins“ und dann sage ich es gleich nochmal mit Nachrichtensprecherinnenstimme, weil ich merke, dass Friedolin beim ersten Mal nicht zugehört hat. Und siehe da, beim nächsten Einkauf hat dieser Mann doch tatsächlich Chips gekauft. Wenn meine Mutter etwas gut findet, muss er natürlich auf jeden Fall das Gegenteil tun. Vielleicht nehme ich ihm in Zukunft Podcasts auf, wenn ich ihm etwas wichtiges mitzuteilen habe.