Eingeschneit!
Winter ist ein Vollzeitjob. Das verdränge ich irgendwie immer. Vor allem mit kleineren Kindern. Ständig bin ich dabei, irgendjemandes Handschuhe oder Mütze zu suchen, oder irgendjemandes Wechsel-Handschuhe oder Wechsel-Mütze, weil die eigentlichen Handschuhe und Mützen seit dem letzten Freigang noch nicht wieder getrocknet sind, Wangen mit Bienenwachssalbe einzucremen, quengelnde Kinder in drei Lagen Kleidung zu zwingen („Den Pullover nicht, der kratzt!“, „Bei der Strumpfhose jucken die Nähte immer so!“), bis einem Kind einfällt, dass es doch nochmal aufs Klo muss (Schneeanzüge mit eingebautem Urinal, das wäre mal was), um dann gefühlte fünf Minuten später alles wieder rückgängig zu machen: Steif gefrorene Kinder aus nassen Sachen schälen („Ich kkkkkrrrrrieg dddden Reisvvvvverschlusssss nnnnnnicht auf!“), Kleidung und Kinder zum Trocknen aufhängen, („Ihr könntet eure Sachen auf mal selbst aufhängen!“ „Aber uns ist so kalt!“), Schneeschuhe mit Zeitungen ausstopfen, Schneelachen im Haus aufwischen, Teekochen, Wärmflaschen verteilen, erfrorene Zehen amputieren, so was halt. Dazwischen Schneeschippen, mich zu den Schnee-paralysierten Hühnern und Kaninchen durchkämpfen, bruchgefährdete Bäume und Dächer vom Schnee befreien, Brennholz aus dem Schuppen holen und immer mal wieder „Ah, wie schön“ und „Oh, wie malerisch“ ausrufen, weil es darum ja eigentlich geht.
Wir waren einfach nicht gut vorbereitet. Nach vier milden Wintern hatte ich es mir dieses Jahr gespart, Schneeanzüge zu organisieren. Das hab ich jetzt davon. Wir improvisieren mit diversen Schichten zu großer und zu kleiner Schneekleidung, aber sie frieren trotzdem ein. Unsere Kinder haben nämlich eine Vorliebe, sich kopfüber Steilhänge voller Tiefschnee hinunter zu stürzen, weil rodeln immer noch nicht geht. Wir haben -10 Grad. Ich besitze noch nicht einmal eine Winterjacke und halte mich mit Norwegerpulli und Regenparka warm, was erstaunlich gut funktioniert. Es gäbe natürlich auch ganz eventuell die Möglichkeit, das Haus nicht mehr zu verlassen, bis das Wetter sich beruhigt hat. Aber das wäre ja vollkommen bescheuert. Ich muss ja Beweisfotos schießen, damit unsere Kinder später sagen können: „Wir haben noch echten Schnee erlebt! Wisst ihr noch, damals, als der Polarwirbel zerbrochen ist…?“ Wir haben uns aber darauf geeinigt, dass wir nur noch zweimal am Tag rausgehen, dafür dann aber richtig und lange. Sonst komme ich zu nichts mehr.
Und natürlich ist all dies Jammern nur kalte Luft. In Wirklichkeit finde ich das Eingeschneitsein ganz wunderbar. Endlich bekommt der Lockdown ein Gesicht. Eine feste, glitzernde Form. Endlich ist da nicht mehr nur diese unsichtbare Schranke, die uns von unseren Freunden und unserem alten Leben trennt. Wenn die Tür vor lauter Schnee nicht mehr aufgeht und die Straßen unpassierbar sind, bleiben wir von Herzen gern allein zu Hause.