Nachhaltigkeit

Die Sache mit der Fleischeslust

Ich bin Vegetarierin und ich liebe Steaks. Frikadellen und Wienerschnitzel habe ich auch immer gern gegessen. Und Parmaschinken. Oder hauchdünne Mortadella bei Wanderungen in den Südtiroler Bergen. Nun esse ich das alles seit 12 Jahren nicht mehr aus Gründen, die ich hier vermutlich nicht näher erläutern muss (Tierwohl, Abholzung der Regenwälder, Klimaschutz, moralphilosophische Überlegungen). Aber es fehlt mir. Der Geschmack, die Abwechslung im Speiseplan und die oft schnellere Zubereitung im Vergleich zu vegetarischen Gerichten.
Umso mehr freuen wir uns, dass es jetzt diese wirklich leckeren Fleischersatzprodukte gibt (mein Gott, schon von dem Wort könnte einem eigentlich der Appetit vergehen). Seltsamerweise müssen wir uns ständig Fleischessern gegenüber rechtfertigen, warum wir das denn essen. Als ob man in dem Moment, wo man zum Vegetarismus überläuft, nur noch an Möhren lutschen darf und das Anrecht auf Fleisch-Mögen verwirkt hat. Die wenigsten Vegetarier oder Veganer essen ja kein Fleisch, weil sie es nicht mögen. Sondern weil sie nicht länger verdrängen können. Wenn Leute mit einer Jute-Tasche anstelle einer Plastiktüte einkaufen gehen, sagt man ja auch nicht: „Jaaa, wenn du auf Plastik verzichten willst, warum trägst du deinen Einkauf dann nicht mit bloßen Händen nach Hause?“
Klar, kann ich auch selbst leckere Frikadellen aus Linse oder Hirse herstellen. Oder einen veganen Aufstrich aus Rote Beete und Meerrettich zaubern. Aber das ist zeitaufwändig und Zeit habe ich unter der Woche oft nicht. Außerdem hat der Geschmack von bestimmten Fleischgerichten ja auch etwas mit Kindheitserinnerungen zu tun. Das Grillfest mit der Familie, das Wiener Schnitzel im Urlaub, der Burger auf Klassenfahrt.
Unsere Kinder sind seit Geburt Vegetarier, sie haben also keine sentimentalen Fleisch-Erinnerungen. Die Achtjährige ist mittlerweile aus eigener Entscheidung sogar strengere Vegetarierin als wir es sind. Sie isst keine Gummibärchen mehr, wenn Gelatine drin ist und verweigert Donuts, in deren Glasur E 120, also Karmin drin ist, das durch Austrocknung und Kochen von Läusen entsteht. Aber unsere Kinder lieben Abwechslung, das Entdecken neuer Geschmacksrichtungen. Sie freuen sich, wenn sie ihr Brot mal mit veganem Schinkenspicker oder Salami belegen können. Natürlich muss es vegan sein, denn Fleischersatzprodukte mit Ei sind völlig unsinnig. Für die Eierproduktion sterben deutlich mehr Tiere, als für die Fleischproduktion. Dann kann man genauso gut echte Salami essen.
Und jetzt kommen wir zur Frage der Inhaltsstoffe. Ja, die sind manchmal fragwürdig. Sind sie bei Fleisch- und Wurstprodukten aber häufig auch. Zu salzig, zu gefärbt, zu viele Konservierungsstoffe. Aber dann liest man sich einfach ein paar Testberichte durch und kauft nur die Produkte, die gut getestet sind.
Das einzige, was mich an Fleisch- und Milchersatzprodukten wirklich ärgert, ist die Plastikverpackung und der Preis. Sie sind natürlich längst nicht so subventioniert, wie die tierischen Produkte und werden (noch) nicht in derselben Menge produziert. Es ist doch wirklich absurd, dass ich klimaschädliche Kuhmilch schon für 78 Cent den Liter kaufen kann und die umweltfreundlichere Hafermilch 1,30 Euro kostet. Veganer zahlen doppelt. Einmal für die teureren veganen und biologischen Produkte. Und weil wir über unsere Steuern ja das System der Fleisch- und Milchindustrie mit finanzieren. Ja, auch Kinderlose zahlen mit ihren Steuern für Kindergärten und Schulen und Fahrradfahrer für den Ausbau von Autobahnen. Aber wir reden hier von einer Industrie, die systematisch Tiere quält und Raubbau an unserer Umwelt und Zukunft betreibt. Da kann und will ich nicht solidarisch sein.
Bei unserer Hausbank, der GLS Bank, kann man als Kunde festlegen, für welchen Sektor das angelegte Geld arbeiten soll: Bildung & Kultur, erneuerbare Energien, Ernährung, nachhaltige Wirtschaft, Soziales & Gesundheit, Wohnen. Wäre doch mal interessant, wenn man am Ende der Steuererklärung im Online-ELSTER-Formular einen Haken setzen könnte, wofür die eigenen Steuern eingesetzt werden sollen. Nur so als Orientierung für die Bundesregierung, was die Bürger sich wünschen. Massentierhaltung wäre es bei der Mehrheit der Steuerzahler sicher nicht.

Ein Kommentar

  • Svea

    Dieser Beitrag spricht mir aus der Seele.

    Das Scheinargument mit den Zusatzstoffen in Fleischersatzprodukten ist für mich immer wieder Ausdruck einer Egozentrik, die Fleisch-Purismus propagiert und verarbeitete Fleischersatzprodukte als unnatürliche Nahrungsmittel ablehnt. Aber mal ehrlich: was wiegt schwerer? Dass ich meinem Körper gelegentlich ein paar Zusatzstoffe zumute oder konventionellen Nutztieren Quälerei, Elend und Tod (zzgl. multiple Umweltbelastungen)?

    Zwei persönliche Empfehlungen: Kross gebratenes Tempeh (z.B. von tempeh manufaktur) und das Kochbuch „Genussvoll vegetarisch“ von Yotam Ottolenghi. Für geschmackliche Vielfalt und Freude am Essen. Bon appétit!

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