Winter

Fastenzeit

„Also, worauf wollen wir in den nächsten sieben Wochen verzichten?“, frage ich beim Mittagessen. Ich hatte den Kindern die Sache mit Jesus und der Wüste erklärt. Und dass es in der Fastenzeit nicht nur darum ginge, zu verzichten, was wir ja seit Monaten zur Genüge tun, sondern auch, falschen Versuchungen zu widerstehen, sich von alten Gewohnheiten zu befreien und Raum für neue Ideen zu schaffen.
„Ich verzichte sieben Wochen…“, setzt Friedolin großspurig an, „…auf Schnee.“
„Witzig“, sage ich.
„Papa könnte sieben Wochen auf Fernsehen verzichten“, schlägt die Siebenjährige vor. Womit sie absolut Recht hat. Seit Corona verbringt Friedolin seinen Feierabend zu 90 % auf Netflix.
„Abgemacht“, sage ich. „Sieben Wochen ohne Netflix.“
„Wir haben gerade eh Disney+“, sagt Friedolin.
„Ich verzichte sieben Wochen darauf, mich einzumischen“, sagt meine Mutter, die gerade zu Besuch ist.
Alle jubeln.
„Ich verzichte sieben Wochen auf Mathe“, sagt die Siebenjährige. Sie nimmt das diesjährige Fasten-Motto der evangelische Kirche sehr genau: Sieben Wochen ohne Blockaden. Und da unsere Tochter mittlerweile eine massive Matheblockade hat, macht ihr Vorschlag absolut Sinn.
„Das wäre ja kein Verzicht“, sagt meine Mutter.
„Ich dachte, du wolltest dich nicht mehr einmischen“, kontert die Siebenjährige.
„Mathefrei verschieben wir auf die Sommerferien“, schlage ich vor. „Wie wäre es statt dessen mit: „Sieben Wochen ohne Diskussionen?“
Sie grinst. Sie ist Meisterin im Aufgaben-Wegdiskutieren. Wodurch sie aber mehr Zeit verliert, als wenn sie die Aufgaben einfach erledigen würde.
„Abgemacht“, sagt sie.
Der Fünfjährige nimmt sich vor, Friedolins Hausschuhe sieben Wochen lang nicht zu verstecken. Oder nicht mehr Fingernägel zu kauen. Er ist nach beidem gleichermaßen süchtig, daher fällt ihm die Entscheidung schwer. Nach langem Grübeln beschließt er:
„Ich verzichte aufs Verzichten bis zum nächsten Jahr.“
Dann waren alle fertig mit Essen und sprangen auf. Worauf ich verzichten will, hat keiner gefragt. Vielleicht, weil der Mutter-Job per se mit Verzicht einhergeht. Aber ich hätte auch keine Antwort gehabt.

Gefühlt faste ich das ganze Jahr über. Mal mehr, mal weniger freiwillig.
Ich verzichte seit 10 Jahren auf Fleisch und Fisch, obwohl ich es sehr gerne esse.
Ich verzichte auf Amazon.
Ich verzichte regelmäßig auf Kaffee und Alkohol, unfreiwillig wohl bemerkt. Mein Körper ist ein strenger Torwächter. Wenn ich zuviel Genussmittel konsumiere, schickt er mir zur Strafe eine Magenschleimhautentzündung. Dann muss ich Zwangsfasten. Hinterher denke ich jedes Mal: „Ohne Alkohol, Zucker und Kaffee geht es mir deutlich besser.“ Und lasse mich prompt mit einem Glas Wein aufs Sofa fallen.
Ich verzichte auf ein eigenes Smartphone.
Ich verzichte auf Kuhmilch und Butter, obwohl es ewig gedauert hat, bis ich mich an den Geschmack von Sojamilch im Cappuccino und Margarine auf Brot gewöhnen konnte.
Die Liste der Dinge, auf die ich außerdem gern verzichten würde, ist ziemlich lang.
Ich würde gern Plastik-Fasten. Was hier auf dem Dorf leider unmöglich ist.
Ich würde gern sieben Wochen auf soziale Medien verzichten: Das ist aber gerade Teil meines Jobs. Verschiebe ich auf den Sommer, wenn die Siebenjährige ihr Mathe-Fasten absolviert.

Aber wie gesagt, es geht beim Fasten ja nicht nur darum, zu verzichten. Sondern darum, durch das Klären des Körpers und Geistes Zugang zu inneren Kraftquellen zu finden, die einem helfen, in Wüstenzeiten nicht verrückt zu werden. Worauf kann ich verzichten, was mir Kraft raubt und mich daran hindert, gestärkt aus dieser Krise hervor zu gehen?
Das wäre in meinem Fall an erster Stelle das Doom-Scrolling. Dieses endlose Konsumieren von schlechten Nachrichten. Zu Beginn der Pandemie gab mir die systematische Informationsbeschaffung noch ein Gefühl von Kontrolle. Ich wollte vorhersagen können, ob Auftritte abgesagt oder statt finden würden, wann die Kinder zu Hause bleiben müssten oder das Infektionsrisiko in unserer Region steigt. Mittlerweile macht es mich nur noch müde und leer. Der Strudel aus negativen Emotionen und Gedanken dreht sich immer schneller.
Ich will mich in den nächsten sieben Wochen auf positive Nachrichten konzentrieren. Wie der Fünfjährige neulich so schön sagte:
„Warum sagen die in den Nachrichten nicht mal, dass Baby-Katzen geboren werden? Das passiert doch auch auf der Welt!“
Ich will mich auf positive Begegnungen konzentrieren. Darauf kann man seine Kontakte ja gerade gut reduzieren. Ich will mich auf all das Gute in meinem Leben besinnen und die Entbehrungen einfach mal ausblenden. Und dann im April mit Frühlingswind im Rücken mutig und kraftvoll neuen Herausforderungen entgegen blicken.

Ein Kommentar

  • Elsa Brüggemann

    So wird die Fastenzeit unter einem so gemeinschaflichen Zugang etwas ganz Besonderes. Das ist ein toller nachahmenswerter Weg.

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