Winter

Wintersonnenwende

Wintersonnenwende. Die Erde hält den Atem an. Tiefe Dunkelheit umhüllt uns vom Nachmittag bis weit in den Morgen hinein. In unserem Haus haben die Rauhnächte begonnen. Nach christlichem Brauch dauern sie vom 25. Dezember bis zum Dreikönigstag. Wir beginnen bereits mit der Thomasnacht am 20.12., dem Vorabend der Wintersonnenwende. Die Siebenjährige wanderte gestern Abend im Kerzenschein mit dem Räucherpfännchen durch unser Haus. Auf einem Stück Kohle verbrannten wir Beifuß, Wacholder, Fichtenharz und Johanniskraut, Boten des vergangenen Sommers. Der Fünfjährige fächerte mit seiner Schwanenfeder den Rauch in jede Ecke. Natürlich nicht ohne anzumerken, dass er auch bald groß genug sei, das Räucherpfännchen zu halten. Räuchern hilft, das Haus vom Ballast des alten Jahres zu bereinigen: von Krankheiten, Streit, Sorgen und Kummer. Danach rissen wir die Fenster auf und ließen die frische, kalte Nachtluft hinein. Wir wanderten im Schein des milchigen Sichelmondes zum Feldrand und lauschten dem auffrischenden Wind in der Weide. Bis es den Kindern unheimlich wurde und sie freiwillig ins Bett wollten.
Wir beginnen nach altem Brauch bewusst früh die Rauhnächte. So bleibt uns bis Weihnachten genügend Zeit, zu entschleunigen und die Kinder geraten gar nicht erst in Weihnachtshysterie. Die Rauhnächte sind aus der Zeit gefallen, sie gehören nicht mehr zum schwindenen Jahr und noch nicht zum neuen. Sie schlagen die Brücke von der alten Zeitrechnung, dem 354 Tage währenden Mondjahr, zu dem Sonnenjahr mit seinen 365 Tagen. Früher glaubte man, in diesen toten Tagen, der Zeit zwischen den Jahren, seien die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt. Menschen könnten mit Tieren sprechen, Geister sehen und die Schreie am Winterhimmel stammten nicht von den Wildgänsen, sondern von dem Wilden Heer, den rastlosen Seelen, die vor der Zeit eines gewaltsamen Todes gestorben sind, und von Odin/Wodan auf seinem Schimmel mit lautem „Ho ho ho!“ angeführt werden. Wo der Schaum aus dem Maul des wilden Schimmels zu Boden tropft, sprießen Fliegenpilze empor. Die Ähnlichkeit zum Weihnachtsmann ist sicherlich nicht zufällig, der Fliegenpilz begleitet uns noch heute als Glücksbringer in der Silvesternacht. In manchen Gegenden reitet auch Frau Holle oder die wilde Percht voran, die aus der Unterwelt zurück an die Oberfläche gekommen ist und die wilde Kraft der Natur aufpeitscht.
Kalendarisch befinden wir uns am Winteranfang, doch der alte Name „Mittwinter“ beschreibt das Gefühl dieser Tage deutlich treffender. Ab heute geht es langsam wieder aufwärts, das Sonnenkind wird in tiefster Dunkelheit neu geboren. Schwach und kaum spürbar ist das neue Licht zunächst. Doch ab morgen beginnt die Erde ihr langes Ausatmen, das bis zur Sommersonnenwende am 21. Juni andauern wird. Für uns sind es Tage der Rückschau und inneren Einkehr. Das vergangene Jahr hat unser Leben so auf den Kopf gestellt, wir werden es bewusst und in kleinen Schritten hinter uns lassen, um uns neu zu sortieren und zu erden.

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